Kann man Meere, Flüsse und Wälder besser schützen, indem man sie als Rechtssubjekte anerkennt und ihnen damit eigene Rechte zuspricht? Ecuador hat genau das getan und 2008 als erster Staat Rechte der Natur in die Verfassung aufgenommen. Seitdem wird diese Idee immer populärer und lokale Initiativen, soziale Bewegungen, nichtstaatliche Organisationen und Gerichte berufen sich weltweit darauf. Aber wie wirksam sind diese ökozentrischen Rechte tatsächlich? Mit dieser Frage beschäftigt sich jetzt ein Projekt am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung (MPI) das von der Volkswagenstiftung mit 350 000 Euro für die Dauer von zwei Jahren gefördert wird.
Immense Ausweitung des ökozentrischen Rechts
Die Idee, der Natur den Rechtsstatus einer Person zu verleihen, ist nicht neu. Bereits 1972 hat der Jurist Christopher Stone in seinem inzwischen berühmten Buch „Should Trees have Standing“ diesen Gedanken zum ersten Mal formuliert und juristisch begründet. Diese anfangs als skurril empfundene Idee hat inzwischen nicht nur bei Umweltschutzorganisationen weltweit an Popularität gewonnen. „Seitdem 2008 Ecuador den Rechten der Natur Verfassungsrang verliehen hat, spielt der Gedanke, dass natürliche Ressourcen nicht nur Objekte sind, über die wir Menschen beliebig verfügen können, auch in der Gesetzgebung und Rechtsprechung eine immer größere Rolle“, sagt Jurist Prof. Dr. Dirk Hanschel von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, der Fellow am MPI und Leiter der Forschungsgruppe ‚Umweltrechte im kulturellen Kontext‘ ist.
Das von der Volkswagenstiftung finanzierte neue Projekt ‘Rights of Nature without Biocultural Rights? Investigating the Conflicting Dimensions of Ecocentrism’ geht auf eine gemeinsame Initiative mit Forschungspartner Mario G. Aguilera zurück und wird es Mitgliedern der Gruppe ermöglichen, Feldforschung zu diesem Thema zu betreiben. „Wir wollen prüfen, ob und wie es gelingt, mit Hilfe solcher rechtlichen Instrumente und Verfahren die Umwelt und die Interessen lokaler, oft marginalisierter Gemeinschaften tatsächlich zu schützen.“
Feldforschung in Ecuador und Kolumbien
Das Projekt besteht aus einer Feldforschungsphase in Ecuador und Kolumbien, bei der Umweltaktivisten, Juristen und Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen interviewt werden. Die empirischen Befunde werden außerdem durch rechtsdogmatische Analysen der einschlägigen Gesetzgebung und Rechtsprechung ergänzt.
Eine zentrale Rolle wird dabei das Urteil des ecuadorianischen Verfassungsgerichts zum Schutz des Waldes „Los Cedros“ vor den Interessen eines Bergbauunternehmens spielen. Darin wurde die Bedeutung der Rechte der Natur unter Berufung auf den indigenen Naturbegriff Pacha Mama besonders hervorgehoben. „Wir wollen untersuchen, ob dieses Urteil tatsächlich so bahnbrechend für die ökologische Rechtsprechung und die Selbstbestimmung indigener Gemeinschaften ist, wie dies häufig behauptet wird“, sagt Hanschel. „Denn es gibt durchaus berechtigte Zweifel daran, dass sich ökozentrische Rechte gegen die Interessen mächtiger Akteure, die die Nutzung natürlicher Ressourcen für sich in Anspruch nehmen, durchsetzen können.“
Die unklare Bedeutung von „biokulturellen Rechten“ und „Rechten der Natur“
Keineswegs eindeutig ist auch, welche Bedeutung Rechte der Natur in der Rechtsprechung haben, in der sie sich häufig aus einer westlichen Interpretation indigener Naturvorstellungen herleiten. So stellt sich die Frage, inwieweit Rechte indigener Gemeinschaften oder spezielle Rechte der Natur bei der Urteilsfindung im Fall „Los Cedros“ oder auch im Fall „Río Atrato“ – in dem das kolumbianische Verfassungsgericht dem Fluss Atrato 2016 subjektive Rechte zusprach – tatsächlich eine Rolle spielten. Im Atrato-Verfahren hat das kolumbianische Verfassungsgericht den neuen Begriff der „biokulturellen Rechte“ entwickelt. Mit diesem Begriff soll der besonderen Verbundenheit ethnischer Gemeinschaften mit dem Territorium, in dem sie leben, rechtliche Geltung verliehen werden. Hanschel: „Es ist bislang nicht klar, was genau unter „biokulturellen Rechten“ zu verstehen ist und in welchem Verhältnis sie zu den „Rechten der Natur“ stehen. Ein Teil des Projektes wird es deshalb sein, diese Begriffe in der Rechtsdogmatik zu analysieren, um ihren Stellenwert besser beschreiben zu können.“
Die Hoffnung auf rechtliche Lösungen für multiple Krisen
„Es ist eine offene Forschungsfrage, wie sich ökozentrische Rechte auf den Schutz von Natur und auf konkrete Konflikte und Machtverhältnisse auswirken werden“, sagt Dr. Annette Mehlhorn, Mitarbeiterin im Projekt, die in Ecuador und Kolumbien forschen wird. „Mit diesen neuen Rechtskonzepten ist häufig die Hoffnung verbunden, dass sich die gegenwärtigen multiplen Krisen mit rechtlichen Mitteln lösen lassen. Es ist für uns deshalb besonders interessant zu erforschen, ob Recht diese Gestaltungsmacht besitzt.“