Künstlicher Intelligenz inventarisiert die Wälder

Luftbild eines Mangrovenwaldes im Utría-Nationalpark an der kolumbianischen Pazifikküste Daniel Schürholz Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung

Mit dem Einsatz von Drohnenbildern und Künstlicher Intelligenz (KI) haben Wissenschaftlern vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen eine Methode entwickelt, mit der jeder Baum in einem Wald beschrieben und seine Höhe und Durchmesser geschätzt werden können. Mithilfe dieser Methode wird es einfacher, biologische Inventare von Wäldern wie beispielsweise Mangroven zu erstellen und ihre gespeicherten Kohlenstoffvorräte zu bestimmen. 

Mangrovenwälder können große Mengen an CO2 und anderen Klimagasen als organisches Material in ihrer Biomasse und ihren Sedimentböden einlagern. Sie gelten daher als eines der Ökosysteme, denen im Kampf gegen den Klimawandel besondere Aufmerksamkeit gebührt. Experten schätzen, dass weltweit zwischen vier und 20 Milliarden Tonnen an organischem Kohlenstoff in den Gezeitenwäldern gespeichert sind. Die Menge des Kohlenstoffs variiert jedoch stark zwischen Regionen und Mangrovenbeständen.

Genaue Schätzungen der Kohlenstoffvorräte in den verschiedenen Mangrovengebieten der Tropen gibt es bisher kaum. In der Regel werden dafür in einigen kleinen Parzellen die Höhe und der Durchmesser der Bäume gemessen. Anhand der Holzdichte und der Baumarten wird dann die Menge der Biomasse geschätzt. Doch die Natur dieser Wälder erschwert den Zugang.

Meist liegen sie sehr abgeschieden, bis zum Nabel kann man im schlammigen Sedimentboden versinken und muss durch Priele waten oder schwimmen, gepeinigt von Mückenscharen. Trotz all dieser Bemühungen sind die Schätzungen aufgrund der natürlichen Schwankungen dann immer noch ungenau.

Fortbewegung in der Mangrove kann sehr mühsam sein, hier bei Bragança in Brasilien. Martin Zimmer. Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung

Wie kann man die Kohlenstoffvorräte in großen Gebieten abgelegener Mangrovenwälder genauer und müheloser erfassen? Diese Aufgabe stellte sich ein Team von Wissenschaftlern des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen.

„Wir haben nach neuen Techniken gesucht, um das gesamte Waldgebiet zu erfassen und eine regelmäßige Überwachung zu ermöglichen,“ erklärt der Doktorand Daniel Schürholz, Erstautor der Studie. „Dabei ist die Berechnung des gespeicherten Kohlenstoffs umso präziser, je detaillierter die Informationen über die Bäume in dem Wald sind.“

Das Team suchte einen Weg um große Mangrovenwälder mit dichten Baumkronen genau zu kartieren. Eine Bestandsaufnahme der einzelnen Bäume mit ihrer Höhe, ihrem Standort und der Größe der Baumkronenfläche ermöglicht es, die gespeicherte Kohlenstoffmenge genauer zu berechnen sowie Zustand und Gesundheit des Waldes zu überwachen.

„Angesichts der aktuellen Fortschritte in der künstlichen Intelligenz beschlossen wir, modernste Techniken zur automatischen Erkennung einzelner Bäume im Wald zu testen“, so Schürholz.

An der kolumbianischen Pazifikküste liegt der Utría-Nationalpark, der größtenteils aus undurchdringlichen Mangrovenwäldern besteht. Dort setzten die ZMT-Wissenschaftern gemeinsam mit Parkrangern und Forschenden der kolumbianischen Universidad del Valle mehrere Drohnen ein, um das Kronendach zu fotografieren und mithilfe von Bildmessung großflächige Karten des Waldes zu erstellen, die den Detailreichtum von Satellitenbildern um einiges übertrafen. Anschließend entwickelten sie einen KI-Workflow, mit dem jeder Baum identifiziert und die Höhe und der Durchmesser seiner Krone geschätzt werden konnte. Mit diesen Daten konnten sie die oberirdische Biomasse berechnen.

„Anhand unseres KI-Workflows haben wir beispielsweise kalkuliert, dass es in dem untersuchten Gebiet 19.717 Bäume der endemischen Mangrovenbaumart Pelliciera rhizophorae gibt. Dies ist eine Berechnung, die mit herkömmlichen Mitteln nur sehr schwer zu erreichen wäre“, meint Arjun Chennu, Experte für die Kartierung von Lebensräumen am ZMT und Ko-Autor der Studie.

Die Verwendung von kostengünstigen Drohnenbildern mit KI-Werkzeugen könne über die Bestimmung der „Blue Carbon“-Vorräte hinaus auch für eine Vielzahl anderer Merkmale eingesetzt werden, wie illegale Abholzung, die Erkennung invasiver Arten oder die Veränderung von Tier- und Pflanzengemeinschaften, so der Wissenschaftler.

Mit ihrer Arbeit möchten die Forschenden zum Schutz der wertvollen Mangrovenwälder beitragen, denn sie liefern Entscheidungsträgern verlässlichere Daten, um für den Erhalt oder die Wiederherstellung von Mangrovenwäldern zu argumentieren.

„Der derzeitige Hype um modernste KI-Algorithmen sollte auch für Umweltfragen genutzt werden, um unser Verständnis der natürlichen Welt zu verbessern“, fordert Schürholz. „Mit der Geschwindigkeit des Fortschritts in der KI werden wir immer mehr Details über die Prozesse in der Natur enthüllen können und besser verstehen, wie sie geschützt und nachhaltig verwaltet werden kann.“

Ähnliche Algorithmen könnten für die Kartierung anderer Ökosysteme wie Korallenriffe oder Wälder in gemäßigten Breiten sowie zur Identifizierung von Tieren und zur Verfolgung ihrer Bewegungen eingesetzt werden. Auch Wälder in Deutschland könnten von der Methode profitieren. Voraussetzung sei, dass man den KI-Algorithmus an die in diesen Wäldern vorkommenden Arten anpasst.

„Wir liefern einen guten Entwurf für ein System, das rund um den Globus eingesetzt werden kann“, fügt Schürholz hinzu.