Leben im Krieg – Psychotherapie in Krisenzeiten

Der Tod auf Sylt. Foto: Die Linde

Leben im Krieg, Psychotherapie in Krisenzeiten – in brenzligen Situationen ist klares Denken besonders notwendig, aber auch besonders schwierig. „Thinking under Fire – Angriffe auf den Denkraum“: So lautet das Motto der 74. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V., die vom 22. bis 24. September 2023 in Weimar stattfindet. Es geht um die Ukraine, Iran oder Afghanistan, aber auch um „Brände“ in unserer Gesellschaft.

Tatsachen werden verleugnet, wissenschaftliche Ergebnisse nicht akzeptiert, demokratische Konfliktlösung verweigert. Antisemitismus, Rassismus und Rechtsradikalismus greifen um sich. Wie lassen sich solche Tendenzen psychoanalytisch erklären?

„Äußere Krisen – wie der Krieg in der Ukraine, Waldbrände, Überschwemmungen, Klimawandel, Wirtschaftsflaute – sind oft ein Katalysator für innere Konflikte“, sagt Dr. Rupert Martin, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. „Destruktive Anteile, die in jedem Menschen schlummern, kommen dann unter Umständen zum Vorschein.“

Um die psychoanalytische Arbeit vor dem Hintergrund der Krisen in der Welt und in der Mitte unserer Gesellschaft geht es bei der 74. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V., die vom 22. bis 24. September in Weimar stattfindet.

Das Tagungsmotto „Thinking under Fire – Angriff auf den Denkraum“ geht zurück auf den britischen Psychoanalytiker Wilfred Bion. Bion erlebte als Panzerkommandant im ersten Weltkrieg am eigenen Leib, was es bedeutet, unter Beschuss klar denken zu müssen. Seine eigenen, traumatisierenden Erfahrungen veranlassten ihn dazu, sich mit Grenzsituationen in psychoanalytischen Behandlungen auseinanderzusetzen, in denen Destruktion Raum greift.

Die Tagung nimmt konkrete physische Bedrohungen auf, etwa wenn der Lehranalytiker Dr. Mykhaylo Suslov aus Charkiv über Psychotherapie während des Krieges in der Ukraine berichtet. Oder die Psychoanalytikerin Dr. Sieglinde Eva Tömmel aus München von ihren Erfahrungen mit der Therapie afghanischer Geflüchteter erzählt. Oder die Schweizer Psychoanalytikerin Nasim Ghaffari über die feministische Revolution in der iranischen Diktatur referiert. „Die Gefahr besteht, dass aufgrund traumatischer Konflikte die Fähigkeit zu denken selbst beschädigt wird. Dies führt dann dazu, dass eine bildliche Sprache, der metaphorische Gebrauch von Worten nicht mehr möglich ist. So können in brenzligen Situationen keine kreativen Lösungen mehr gefunden werden“, so der DGPT-Vorsitzende Martin.

Auch die Bedrohungen in unserer Gesellschaft sind Thema: Warum wird die Klimakrise wider besseren Wissens von vielen abgewehrt? Wie kann man sich politischem Extremismus psychoanalytisch nähern und Menschen therapeutisch dabei unterstützen, sich zu deradikalisieren? Aktuelle Studien, wie ein Forschungsprojekt zu Abwehr- und Aneignungsprozessen der Klimakrise, und neue Projekte, wie das Projekt NEXUS zur Prävention von Extremismus, werden vorgestellt. Keine Frage: Politische und gesellschaftliche Themen spiegeln sich auch im Behandlungszimmer und im psychoanalytischen Diskurs.