Die Stromerzeugung aus Solarkraft wurde zuletzt in nur zehn Jahren um 87 Prozent billiger, das Speichern in Batterien um 85 Prozent, auch Windkraft, Wärmepumpen und weitere fossilfreie Technologien erleben einen starken Preisverfall. Eine Studie gleicht entsprechende Befunde aus Innovationsreports jetzt mit den gängigen modellgestützten Szenarien zur Klimawende ab und zeigt: Der Kampf gegen die Erderhitzung bleibt zwar eine enorme politische Herausforderung – doch immerhin eröffnen sich neue, günstigere Wege.
Die Studie wurde geführt vom Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) und publiziert in der renommierten Fachzeitschrift Energy Research & Social Science. Das Forschungsteam kommt zu dem Schluss, dass gute Lebensqualität auch mit deutlich weniger Energieaufwand zu haben ist.
„Es gibt schon Rechnungen, wonach der gesamte weltweite Energieverbrauch im Jahr 2050 komplett und kostengünstig durch Solar und andere Erneuerbare gedeckt werden könnte“, berichtet Felix Creutzig, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport und Leitautor der Studie. „Das ist ein extrem optimistisches Szenario – aber es verdeutlicht, dass die fossilfreie Zukunft möglich ist. Die Klimawissenschaft, die der Politik in ihren Szenario-Modellen Orientierung gibt, muss darin den technischen Fortschritt möglich gut abbilden. Unsere Studie soll dazu einen Input liefern.“
Der Untersuchung zufolge könnte die Klimawende anders ablaufen als erwartet. Derzeit wird in mit dem Paris-Abkommen kompatiblen Szenarien, also mit deutlich unter 2 Grad Erderhitzung, auch künftig viel Kohle verbrannt und dabei das entstehende CO₂ abgetrennt und unterirdisch eingelagert. Auch das mit CO₂-Abscheiden und -Speicherung kombinierte Verbrennen von Biomasse (Holzpellets, Biogas sowie auf sogenannten Klimaplantagen kultivierte schnell wachsende Pflanzen) gilt derzeit als großflächig gesetzt, trotz negativer Folgen für Nahrungsmittelproduktion und Artenvielfalt. Doch das Forschungsteam trägt Indizien zusammen, wonach stattdessen fossilfreie Alternativen zum Gamechanger werden könnten.
So kosten schon jetzt Batterien nur noch weniger als 100 US-Dollar je Kilowattstunde – deutlich weniger, als in einer Publikation von vor zwei Jahren für das Jahr 2030 vorausgesagt wurde. Der Preisaufschlag für Batteriespeicherung, der Sonnenstrom in einem optimalen Mix flexibel verfügbar macht, sinkt bis 2030 von aktuell 100 auf nur noch 28 Prozent. Inzwischen fahren die ersten auf Profit ausgerichteten Stromversorger alte Kohlekraftwerke herunter und ersetzen sie durch neue Hybridsysteme aus Solarstrom und Speicherung.
Für 2050 rechnen Fachleute mit weltweit 63.000 Terawattstunden Sonnenenergie – das wäre doppelt so viel wie heute die Kohle liefert. Und 80 Prozent der privaten Investitionen in neue Energieerzeugung sind inzwischen fossilfrei. Allerdings verweist das Forschungsteam auf die politische Ökonomie der Kohle: Rücksichtnahme etwa auf Arbeitsplätze, Steuerzahlungen, politische Sachzwänge oder finanzielle Liquidität lässt Regierungen auch dann noch in Kohle investieren, wenn sich Erneuerbare eigentlich besser rechnen.
Die Studie beschreibt darüber hinaus einen umfassenden Strukturwandel, der die Klimawende günstiger macht. So profitieren etwa Solarzellen, Batterien, Wärmepumpen und Windräder vom Trend in Richtung granularer Technologien: also Lösungen mit einfachen Elementen, die sich wie Legosteine zu größeren Systemen zusammenstecken lassen. Hier ist das Innovationstempo größer als bei klassischen Großanlagen.
Zudem haben neue Anbieter unerwartet viel Erfolg mit energiesparenden Lösungen im Alltagskonsum – vom Veganschnitzel im Supermarkt über den E-Scooter an der Straßenecke bis zum All-in-all-Gerät im Elektrogeschäft. Und schließlich sorgt die Sektorkopplung, also direkte und indirekte Elektrifizierung von Verkehr, Heizen und Industrie, für viel mehr Energieeffizienz und zudem neue Möglichkeiten, Grünstrom zu speichern – etwa in E-Autos, synthetischen Gasen für die Industrie oder E-Fuels für Flugzeuge und Schiffe.
„Die Treibhausgas-Emissionen sind so hoch wie nie, die bisher ergriffenen Maßnahmen sind zu schwach, doch in dieser politisch verfahrenen Lage sorgt der technische Fortschritt für einen Lichtblick“, sagt Jan Minx, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitswissenschaft und einer der Co-Autoren. „Neue, teils schon im Entstehen befindliche Szenario-Modelle könnten in absehbarer Zukunft zeigen, dass die globale Klimawende nicht so teuer wird wie bisher angenommen und unter Umständen sogar Kosten spart – sofern sie denn endlich angegangen wird.“