Viele Unternehmen verfolgen ambitionierte Klimaziele. Gerade Firmen der Elektronik- und IKT-Branche stellen jedoch fest, dass Treibhausgas-Emissionen weniger in der eigenen Fertigung, sondern vor allem in den Vorketten bei zahlreichen Lieferanten entstehen. Um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren und wirklich klimaneutral zu werden, muss deshalb die gesamte Wertschöpfung in den Blick genommen werden. Ein vom Fraunhofer IZM verfasster Praxisleitfaden liefert hierfür eine wertvolle Anleitung und hilft, sich im Dschungel der Standards für Klimabilanzen zurecht zu finden. Zielgruppe sind insbesondere Baugruppenhersteller, aber auch Leiterplattenfertige, sowie die IT-Beschaffung.
Der gesellschaftliche Wandel zu mehr Klimaschutz ist längst auch in den Unternehmen angekommen. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich insbesondere im Bereich Elektronikprodukte die Klimabilanz nur unzureichend verbessern lässt, wenn die in den Vorketten verursachten Emissionen nicht berücksichtigt werden. Doch welche Daten sind hierfür relevant? Wie werden sie ermittelt? Und wie behält man bei sehr komplexen Elektronikprodukten den Überblick?
Eine wertvolle Hilfestellung bietet der jetzt veröffentlichte Praxisleitfaden unter dem Titel „Bilanzierung von Treibhausgasen in der Lieferkette elektronischer Komponenten und Produkte“. Mit begrenztem Zeitaufwand können Unternehmen dank des Leitfadens Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen ableiten, sei es durch Änderungen am Produktdesign oder Energieeinsparungen in der Lieferkette. Sie lernen, welche Prioritäten sie bei der Bilanzierung und Datenerhebung setzen müssen.
Dadurch verlieren sie sich nicht in Details und werden in die Lage versetzt, mit ihren Lieferanten in den zielgerichteten Austausch zu treten, statt lang aneinander vorbei zu reden. Eingeflossen sind u.a. die Erfahrungen des Fraunhofer IZM mit Treibhausgasbilanzen für Elektronikprodukte und einzelne Fertigungsprozesse sowie Erkenntnisse aus Pilotanwendungen der Lieferkettenbilanzierung mit mehreren mittelständischen Unternehmen in Deutschland.
Der neue Praxisleitfaden legt seinen Fokus bewusst auf die den Geräteherstellern vorgelagerten Prozesse und Akteuren. Denn wie Karsten Schischke, Projektleiter am Fraunhofer IZM, ausführt, sind insbesondere bei den Endgeräteherstellern über 85 Prozent der Emissionen in vorgelagerten Prozessen zu verorten:
„Baugruppenfertiger:innen neigen dazu, die eigenen Lötprozesse als besonders relevant für die Klimabilanz wahrzunehmen. Viel mehr versteckte Emissionen finden sich aber in der Fertigung der Komponenten, die über die Bestückungslinie laufen. Hier hilft der Leitfaden, Ordnung in die Stückliste zu bringen, und diejenigen Komponenten zu identifizieren, die besonders zu klimarelevanten Emissionen beitragen.“ Daher lohnt es sich, diese Hotspots als größte Stellhebel weiter in den Fokus zu nehmen und an Maßnahmen für deren Reduktion zu arbeiten.
Der Leitfaden erklärt in fünf übersichtlichen Phasen und einer Checkliste, wie Unternehmen effizient bei der Bilanzierung von Treibhausgasen in ihrer Lieferkette vorgehen können. Fachbegriffe und wissenswerte Zusammenhänge werden parallel erläutert, etwa gesetzliche Vorgaben oder kostenfreie Analyse-Tools. Darüber hinaus gibt es Praxistipps, die den Bilanzierungsprozess erleichtern sollen, z.B. zur Beschaffung von IT-Geräten im Unternehmen oder zum Umgang mit sehr komplexen Elektronikprodukten.
Denn gerade die Baugruppenfertigung in der Elektronik ist mit der Herausforderung konfrontiert, dass die Stückliste häufig mehrere hundert Komponenten umfasst und daher die Lieferantenanzahl sehr groß ist. Die Erwartung, für eine derartige Stückliste vollständige belastbare Primärdaten aus der Lieferkette zu erhalten, ist utopisch und fern der gängigen Praxis.
Im Projekt scope3transparent konnten jedoch mit mehreren Pilotunternehmen Analysen zahlreicher Baugruppen mithilfe generischer Datenbanken durchgeführt werden. Das Ergebnis: Da einige ausgewählte Komponententypen für den Großteil der vorgelagerten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind, kann das so genannte Pareto-Prinzip angewendet werden: Fast immer tragen nur ein Dutzend Komponenten zu 80 bis 90 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen einer Baugruppe bei. Der Auf-wand bei der Datenerfassung und Berechnung lässt sich also auf einen überschaubaren Teil der Stückliste eingrenzen. Dazu Schischke: „Klimaschutz funktioniert nicht, wenn das Rad immer wieder neu erfunden werden muss. Unsere Erfahrungen und Empfehlungen für ein effektives, koordiniertes Vorgehen in der Elektronikbranche haben wir daher in diesem Praxisleitfaden gebündelt.“