Land- und Forstwirte in Deutschland haben ein hohes Problembewusstsein für den Verlust der Artenvielfalt und möchten einen Beitrag zum Schutz der Biodiversität leisten. Bei der Umsetzung von Maßnahmen sehen sie sich jedoch hohen Hürden gegenüber. Das zeigt die Studie „Zielvorstellung Biodiversität – Biodiversitätsbewusstsein in der Land- und Forstwirtschaft“, für die rund 500 Landwirte und 500 Forstwirte zu ihren Einstellungen gegenüber Biodiversität, zu ihrer Bereitschaft und zu ihren Möglichkeiten für Schutzmaßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt befragt wurden.
Die biologische Vielfalt ist auch in Deutschland stark zurückgegangen. Die Gründe dafür sind vielfältig, als eine der Hauptursachen gilt jedoch eine nicht nachhaltige Landnutzung. Etwa 50% der Flächennutzung in Deutschland entfallen auf Landwirtschaft und knapp 30% auf Wälder. Land- und Forstwirte sind deshalb zentral für den Wandel hin zu einer biodiversitätsfreundlichen Bewirtschaftung von Äckern, Wiesen und Wäldern. Aber wie ist die Haltung von Land- und Forstwirte gegenüber Biodiversitätsschutz, wie ihr Wissen um Artenvielfalt, welche Werte sind für sie handlungsleitend?
Hier setzt die von der BMBF-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) in Auftrag gegebene und vom ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung durchgeführte Studie an, die am Mittwoch, den 11. Oktober 2023 in Frankfurt am Main vorgestellt wird. Die Studie zeigt neben repräsentativen Einstellungen auch die Schwierigkeiten und Herausforderungen in der Land- und Forstwirtschaft für ein biodiversitätsfreundliches Handeln auf.
Problembewusst und handlungsbereit
Der Studie zufolge haben 83% der Befragten in der Forstwirtschaft (FWS) und 67% in der Landwirtschaft (LWS) ein hohes Problembewusstsein, die Mehrheit fühlt sich persönlich dafür verantwortlich, etwas für den Biodiversitätsschutz zu unternehmen (81% FWS, 85% LWS). Allerdings gibt es auch eine nicht ganz kleine Gruppe, die sich bei dem Thema überfordert fühlt (45% FWS, 24% LWS). 87% der Landwirte sind frustriert darüber, dass ihnen die Ursachenverantwortung für den Biodiversitätsverlust zugeschrieben wird. In beiden Gruppen zeigt sich ein Zusammenhang zwischen dem Biodiversitätsbewusstsein und der Bewertung von Ökosystemleistungen – das sind die Leistungen, die die Natur kostenfrei bereitstellt: Wer einen hohen Nutzen in der Biodiversität sieht, hat auch ein höheres Bewusstsein für den Erhalt der Artenvielfalt.
„Die Befragung zeigt deutlich, dass Land- und Forstwirt*innen eine hohe intrinsische Motivation haben, zum Schutz der biologischen Vielfalt beizutragen“, betont Marion Mehring vom ISOE, Leitautorin der Studie. „Schwierigkeiten bei der Umsetzung biodiversitätsfördernder Maßnahmen sind vor allem praktischer Art und nicht etwa Zweifel an der Sinnhaftigkeit.“
92% beider Gruppen gaben an, bereits Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität im eigenen Betrieb umgesetzt zu haben. Eine Mehrheit zeigt sich jedoch unzufrieden und berichtet über einen Mangel an Handlungsmöglichkeiten, konkrete Hemmnisse sehen die Befragten in der fehlenden Flexibilität der Maßnahmen oder einem zu hohen Dokumentationsaufwand. Eine weitere Hürde liegt in der Sorge vor möglichen Schäden und Nachteilen, Biodiversität wird in der Umfrage auch als Risiko in Form von Schädlingsbefall wahrgenommen.
Akteure besser in Umwelt- und Biodiversitätsschutz einbeziehen
„Land- und Forstwirt*innen haben wertvolles Expertenwissen über die lokale Situation, in der sie arbeiten, und können am besten beurteilen, welche Maßnahmen wirklich dem Biodiversitätsschutz dienen, ohne zu hohe betriebliche Mehrkosten zu erzeugen“, erklärt Volker Mosbrugger, Ko-Autor der Studie und Sprecher der FEdA. „Für uns war es daher essenziell, ein besseres Verständnis von den Motiven und Herausforderungen der Akteure gegenüber Biodiversität zu erhalten, damit wir Land- und Forstwirt*innen künftig zielgerichtet in den Umwelt- und Biodiversitätsschutz einbeziehen können.“ Dafür sei eine zielgruppenspezifische Ansprache notwendig. Die Studie „Zielvorstellung Biodiversität“ unterscheidet anhand des Biodiversitätsbewusstseins, der Bewertung des Nutzens von Ökosystemleistungen sowie der Einschätzung der eigenen Handlungsmöglichkeiten fünf (LWS) bzw. vier (FWS) Gruppen.
Die relativ kleine Gruppe der „wenig Überzeugten“ sowohl in Land- als auch in Forstwirtschaft (15% LWS, 10% FWS) hat ein niedriges Biodiversitätsbewusstsein, das die Hauptbarriere für den Biodiversitätsschutz darstellt. Die verhältnismäßig große Gruppe mit hohem Biodiversitätsbewusstsein ist dagegen grundlegend ansprechbar für Biodiversitätsschutz und lässt sich über andere Barrieren in unterschiedliche Gruppen unterteilen: Die „Zurückhaltenden“ (16% LWS, 44% FWS) sehen nicht nur den Nutzen, sondern auch potenzielle Risiken der Biodiversität und berichten von einem Mangel an Handlungsmöglichkeiten.
Die „Vorsichtigen“, die es mit 10% nur in der Landwirtschaft gibt, eint die Sorge vor Risiken der Biodiversität, einen Mangel an Handlungsmöglichkeiten sehen sie dagegen eher nicht. Die „Handlungsbereiten“ wiederum berichten vor allem einen Mangel an Handlungsmöglichkeiten, während die Risiken eher kein Problem für sie darstellen (31% LWS, 28% FWS). Zudem identifiziert die Studie die Gruppe der „Überzeugten“ (26% LWS, 17% FWS). Sie haben ein hohes Biodiversitätsbewusstsein und sehen weder die Risiken von Biodiversität noch die Handlungsmöglichkeiten als Barriere für den Biodiversitätsschutz.
Für eine zielgruppenspezifische Ansprache legt die Studie nahe, die „wenig Überzeugten“ mit einer gezielten Information über Funktion und Rolle von Biodiversität zu gewinnen. Die „Zurückhaltenden“ spreche man mit dem Abbau der Sorgen vor möglichen Risiken an. Die „Vorsichtigen“ sollten mithilfe von Best-Practice-Beispielen unterstützt werden und den „Handlungsbereiten“ sollte ermöglicht werden, Barrieren bei der Maßnahmenergreifung abzubauen. „Die Gruppe der Überzeugten kann wiederum aufgrund ihrer Expertise und Erfahrungen aktiv angesprochen werden“, betont Mehring. „Um eine Trendwende für die Artenvielfalt zu erreichen, braucht es ein breites Engagement und neue Bündnisse zwischen allen beteiligten Akteuren. Die Studie zeigt auf, wie dies über die Entwicklung gemeinsamer Zielvorstellungen auf der Grundlage von geteilter Motivation für den Schutz der Biodiversität gelingen kann.“
Hinweis auf vertiefende Podiumsdiskussion
Die Studienergebnisse werden im Rahmen eines Fachgesprächs mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Forst- und Landwirtschaft im Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und per Livestream vertieft. Auf dem Podium diskutieren Martin Häusling, Mitglied des Europäischen Parlaments, Dr. Marion Mehring, ISOE, Dr. Tina Baumann, Stadtforst Frankfurt, und Steffen Pingen, Deutscher Bauernverband e.V. Die Diskussionsrunde moderiert die Wissenschaftsjournalistin Susan Schädlich.
Podiumsdiskussion am 11. Oktober 2023 ab 18 Uhr im Grünen Hörsaal, Robert-Mayer-Str. 2, Frankfurt und live per Zoom. Programm und Anmeldung: https://www.feda.bio/de/podiumsdiskussion-zur-praesentation-der-studien-ergebnis…