Die Einführung der Landwirtschaft und die erste Metallverarbeitung sind entscheidende Innovationen in der Geschichte der Menschheit. Schon lange fragt sich die Wissenschaft, welche Rolle Bevölkerungsentwicklungen und Umwelteinflüsse bei diesen innovativen Prozessen gespielt haben. Zwei Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin des Exzellenzclusters ROOTS an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel veröffentlichen jetzt in der internationalen Fachzeitschrift PLOS ONE eine Studie, die zeigt, dass Klimaschwankungen und Bevölkerungsentwicklung während der ersten bäuerlichen und metallproduzierenden Gesellschaften Mitteleuropas (5500 bis 3500 Jahre vor heute) eng miteinander verknüpft waren.
„Unsere Untersuchungen geben darüber hinaus Hinweise, dass nicht nur die Bevölkerungsgröße in den untersuchten mitteleuropäischen Regionen im Zusammenhang mit dem Klima schwankte. Auch Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen waren mit den Klimaschwankungen verknüpft“, sagt der Archäologe Dr. Ralph Großmann, Erstautor der Studie. Für die aktuelle Studie haben er, der Archäologe Prof. Dr. Johannes Müller und die Paläoklimawissenschaftlerin Dr. Mara Weinelt die Dichte und Verteilung von 14C-Datierungen aus der Region rund um den Harz, aus dem nördlichen Alpenvorland und aus der Region des heutigen Tschechiens und Österreichs ausgewertet. Mit Hilfe statistischer Verfahren lassen die Daten Rückschlüsse auf Bevölkerungsentwicklungen in der Vergangenheit zu.
Um mögliche Fehlerquellen zu minimieren, bezieht die aktuelle Studie neben den 14C-Daten außerdem weitere Daten mit ein. Dazu gehören konkrete archäologische Informationen wie der Vergleich von Siedlungs- und Bestattungsdaten oder kleinräumig die absolute Anzahl von Fundplätzen in einer bestimmten Region. Ähnliche Studien gibt es zwar schon für andere Gebiete. Doch der Vergleich von drei Regionen auf einer derart umfassenden Datenbasis mit hoher zeitlicher Auflösung ist für Mitteleuropa neu.
„Die so ermittelten Bevölkerungskurven zeigen einen deutlichen Zusammenhang zu den regionalen Klimadaten“, betont die Co-Autorin PD Dr. Mara Weinelt. In eher warmen und feuchten Phasen nahm die Bevölkerung zu, in eher kalten und trockenen Phasen nahm sie dagegen ab. Dieser generelle Zusammenhang gilt für alle untersuchten Regionen.
Die Bevölkerungsentwicklung unterschied sich in den einzelnen Regionen jedoch in einigen Phasen
„Besonders spannend für die Auswertung war die Zeit ab etwa 3900 Jahre vor heute, also in der Frühen Bronzezeit. Damals erreichte in Europa eine Phase ungünstiger Klimabedingungen und damit erhöhten Umweltstresses ihren Höhepunkt. Rund um den Harz ist ein deutlicher Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen, während in den beiden anderen Regionen die Bevölkerungsgröße noch stabil blieb“, berichtet Dr. Großmannn. Gleichzeitig treten in der Harzregion plötzlich aufwendig gestaltete und reich ausgestattete Gräber auf. Dafür kann es mehrere Erklärungen geben.
„Möglicherweise profitierten die demografisch abnehmenden Gesellschaften rund um den Harz aufgrund von Warenaustausch von den Boom-Phasen in den Nachbarregionen. Das könnte zu einer stärkeren sozialen Schichtung der Bevölkerung geführt haben“, sagt Co-Autor Professor Johannes Müller. „Oder die ungünstigen klimatischen Bedingungen führten zu einer sozialen und wirtschaftlichen Krise und dadurch zu einer höheren sozialen Ungleichheit“ ergänzt Dr. Großmann.
Gleichzeitig belegt die Studie, dass die Menschen in den untersuchten Regionen durchaus Strategien entwickelt haben, sich an klimatisch ungünstigere Bedingungen anzupassen. Dazu gehörten veränderte Wohngebäude, die Einführung neuer, robusterer Getreidearten wie Dinkel oder Hirse sowie ausgedehntere Handelsnetze.
„Letztendlich können wir nicht jegliche Veränderung menschlicher Aktivität mit klimatischen Veränderungen in Beziehung setzen. Aber die Verknüpfung, die wir in den drei Untersuchungsregionen sehen, ist sehr deutlich. Sie zeigt, dass das Klima ein wesentlicher Faktor für die Bevölkerungsentwicklung war“, fasst Dr. Großmann zusammen.