Trotz ihrer zentralen Rolle in vielen Ökosystemen wird die Bedeutung von Pilzen bei Renaturierungen und im Artenschutz bisher nur wenig betrachtet. Ein von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördertes Projekt der Universität Bayreuth will das ändern: Erstmals soll im Labor und in der Praxis erprobt werden, wie vom Aussterben bedrohte Pilzarten wieder angesiedelt werden können.
Pilze, die neben Tieren und Pflanzen eine eigene Kategorie der Lebewesen bilden, beschreiben ihr ganz eigenes Reich an Organismen. An der Oberfläche ist nur der Fruchtkörper zu sehen, unter der Erde oder in der Streu und im Totholz bilden sie riesige Netzwerke mit fadenförmigen Zellen, sogenannten Myzelien, mit denen sie Tier- und Pflanzenreste zersetzen. Schätzungen zufolge befinden sich in einem Hektar Waldboden sechs Tonnen Myzelien.
„Pilze sind richtige Recycling-Meister“
„Ohne Pilze würde sich organisches Material ähnlich wie Plastik in der Umwelt ansammeln und nicht wieder in den Nährstoffkreislauf gelangen – sie sind also richtige Recycling-Meister“, erklärt Prof. Dr. Claus Bässler, Professor für Pilzökologie an der Universität Bayreuth. „Außerdem stehen zahlreiche Pflanzenarten, darunter auch Bäume, in Symbiose mit Pilzen und werden so mit Nährstoffen und Wasser versorgt.“ Daher wird das unterirdische Myzelien-Netzwerk auch als Internet der Natur, Wood Wide Web, bezeichnet. Außerdem sind die Organismen auch für uns Menschen wichtig – etwa als Lebensmittel oder in der Medizin. Trotz ihrer großen ökologischen Bedeutung sind sie nach Bässlers Worten dennoch kaum erforscht, auch Artenschutz-Maßnahmen gebe es nur wenige.
Biodiversität fördern: neue Lebensräume und Ansiedlung bedrohter Arten
Pilze sind jedoch wie viele andere Organismen von der zunehmenden Zerstörung natürlicher Lebensräume und dem damit einhergehenden enormen Verlust der Biodiversität betroffen. „Werden Wälder gerodet und Landflächen mit Infrastruktur oder Siedlungen bebaut, verlieren auch Pilze ihre Lebensgrundlage“, sagt Dr. Hans-Christian Schaefer, DBU-Referent für zirkuläre Wirtschaft und Bioökonomie. „Die biologische Vielfalt nimmt schneller ab als je zuvor in der Geschichte der Menschheit – etwa zwei Millionen Arten sind gefährdet. Wenn die menschengemachte Zerstörung von Ökosystemen weitergeht wie bisher, wird das erhebliche Folgen haben.“ Seit dem Biodiversitätsgipfel der Vereinten Nationen (UN) im Dezember 2022 gibt es verschärfte globale Ziele zum Schutz der Artenvielfalt: Bis 2030 sollen unter anderem 30 Prozent der Land- und Meeresflächen auf der Welt unter Schutz gestellt werden. „Es ist essenziell, dass wir Lebensräume wiederherstellen; renaturierte Gebiete müssen dabei auch von bedrohten Arten besiedelt werden können“, betont Schaefer. Insbesondere für spezialisierte und wenig mobile Tiere, Pflanzen und Pilze sei dies durch fragmentierte Landschaften schwierig – „das trifft zum Beispiel auf Pilzarten zu, die auf abgestorbenen Bäumen wachsen und auf Wälder mit viel Totholz angewiesen sind“, so Schaefer. Für diese Arten könne eine gezielte Wiederansiedlung hilfreich sein, um die Biodiversität in einem Gebiet zu erhöhen und den Bestand der Art zu sichern.
DBU-Projekt: Im Labor gezüchtete Pilze im Wald wieder ansiedeln
Wie wirksam eine solche Wiederansiedlung für seltene, totholzbewohnende Pilze sein kann, untersucht ein DBU-gefördertes Projekt der Universität Bayreuth unter Leitung von Professor Bässler. Dafür entnehmen die Forschenden acht Pilzarten aus bekannten Populationen und züchten diese im Labor auf Holzdübeln an. „Eine Vorstudie hat gezeigt, dass dieses Vorgehen funktioniert“, sagt Bässler. Zeitgleich werden im Nationalpark Bayerischer Wald ausgewählte Flächen mit Totholz verschiedener Baumarten ausgestattet und vorhandene Pilzgemeinschaften untersucht. „Die Gebiete sind ganz unterschiedlich mit sonnigen oder schattigen Bedingungen in eher unberührten oder forstlich geprägten Wäldern“, so Bässler. Das ermöglicht dem Forschungsteam, optimale Ansiedlungsstrategien für unterschiedliche Standorte und Pilzarten zu identifizieren. Anschließend sollen die gezüchteten Pilze in Zusammenarbeit mit dem Nationalpark im Frühjahr und Sommer 2024 auf die vorbereiteten Flächen und Baumstämme ausgebracht werden.
Erfolgskontrolle nach zwei Jahren – Arbeitshilfen für Naturschutzverbände und Forstverwaltungen
„Um die Effekte der Wiederansiedlung beurteilen zu können, überprüfen wir die Pilzgemeinschaften zwei Jahre nach der Maßnahme“, so Bässler. Die Erkenntnisse sollen in Artenhilfsprogramme für die einzelnen bedrohten Pilzarten einfließen, die Waldbesitzende oder Naturschutzverbände als Grundlage für eigene Projekte nutzen können. Für den Schutz der Pilze plant der Nationalpark Bayerischer Wald im Zuge des DBU-geförderten Vorhabens zudem ein Bestandsmonitoring, bei dem fachkundige Personen eingebunden werden. So sollen mehr Informationen über die Verbreitung gesammelt und das Bewusstsein für die Bodenorganismen als Teil naturnaher Wälder gefördert werden.