perspektywa – Vom Grenzraum zum Begegnungsraum

Foto: Projekt/red DieLinde

Das europäische Zusammenwachsen bedeutet für die Menschen  einerseits  neue Möglichkeiten, andererseits  auch schwierige Veränderungsprozesse und Verunsicherung. . Wie sich  Chancen  nutzen und  Herausforderungen gemeinsam  bewältigen lassen, das erprobt das  Modellprojekt perspektywa.

perspektywa wendet sich an  die Bewohnerinnen und Bewohner der Ämter Löcknitz-Penkun im Landkreis Vorpommern-Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) und Gartz (Oder) im Landkreis Uckermark (Brandenburg). Der Grundgedanke von perspektywa :  Es kommt auf die Ideen und Vorschläge der dort lebenden Menschen an. Wie wollen wir, Deutsche und Polen, zusammenleben?  Welche Probleme gibt es? Welche Vorurteile und welche stereotypischen Vorstellungen vom Anderen sind wirksam, die  das Zusammenleben in der Region erschweren?
Wie sieht das Zusammenleben von deutschen und polnischen Bewohnern bei uns aus?  Was brauchen wir für die Zukunft?  Am Anfang stehen also Fragen viele Fragen. .Mit diesen Bestandsaufnahmen und Visionen verabreden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projektteams praktische Vorhaben, die  gemeinsam umgesetzt werden sollen. Das  Ziel:  das Stettiner Umland als gemeinsamen Lebensraum für polnische und deutsche Bürgerinnen und Bürgern zu gestalten.
Die Situation

Nach dem Ende des Kommunismus und der Auflösung des Warschauer Paktes zogen immer mehr Polen nach Deutschland, in die deutsch-polnischen Grenzgebiete. Es gibt nicht wenige Dörfer in dieser Region, in denen   bis zu 50% der Einwohner Polen sind. Häuser und Wohnungen sind hier billiger als in der nahegelegenen polnischen Stadt  Stettin (Szczecin) mit ihren mehr als 400.000 Einwohnern.  „Mit dem Nachbarn ist es, solange man nicht miteinander kommuniziert, erst mal ganz gut, und das ist häufig so, weil viele, wenn sie ein Haus bauen und kleine Kinder haben, weiter in Stettin arbeite“, erklärt Niels Gatzke, Leiter des Projektes perspektywa.  Doch diese nette und unverbindliche Nachbarschaft endet, wenn die Zugezogenen anfangen, sich einzumischen und Dinge gestalten wollen. Und wenn die Deutschen in einem solchen Ort sich zurückgesetzt fühlen, sie den Eindruck haben, an positiven Entwicklungen in Deutschland nicht mehr teilzuhaben, dann heißt es sehr schnell, wie Nils Gatzke beobachtet hat,  es werde „alles in die Polen hineingeschoben“.

Vor dem Mikrophon würden die Leute alle Vorteile, die der Zuzug der Polen hat, herunterbeten. Aber hinter vorgehaltener Hand hört sich das dann anders an. Schwierig wird es schon dann, wenn deutsche Kinder polnisch lernen sollen. Da ist der Gedanke entscheidend: Was sollen unsere Kinder mit polnisch, die gehen doch sowieso weg. Andererseits schreiben zum Beispiel Banken ins Anforderungsprofil für neue Mitarbeiter/innen Polnischkenntnisse  hinein, weil sie eben alle Kunden bedienen wollen.

50%  der Schülerinnen und Schüler  in Grundschule und Kita sind polnische Kinder. Diese Grundschulen und Kitas wären ohne sie gar nicht mehr haltbar.  Gleiches gilt etwa für Supermärkte.

Das alles wissen die deutschen Bewohnerinnen und Bewohner. Und doch gibt es Ressentiments. Das hat auch damit zu tun, so Nils Gatzke, dass die Deutschen sich nicht mehr abgrenzen können. Das arme Polen  ist nicht mehr arm. Die kaufen sogar deutsche Häuser.

Wie arbeitet   perspektywa?

Der erste Schritt besteht darin, sich die Dörfer anzuschauen, herauszufinden,  was läuft da nicht, gibt es kein Engagement oder läuft das Engagement aneinander vorbei?

Bei Konflikten wird das Gespräch gesucht  mit ehrenamtlichem Bürgermeister mit allen Vereinen und Beteiligten. Es geht darum,  Vertrauen aufbauen. Das kann auch zum Beispiel durch einen gemeinsamen  Stammtisch geschehen. Wichtig ist es, Begegnungen zu initiieren , Bürgerbeteiligungselemente einzubauen. Das dauert, wie Nils Gatzke festgestellt hat. Und das ist eben auch kein Selbstläufer

Erfolge.

Schon ein Klassiker auch in vielen Dörfern, die nicht in einem Grenzgebiet liegen, ist das Problem der Nahversorgungseinrichtungen.  Doch nur drei 3 Kilometer liegt  ein  polnisches Dorf, das alles das noch hat, was auf deutscher Seite mittlerweile fehlt. Als ist das „deutsche Dorf“ mal ins „polnische Dorf“ gefahren. Vorher hatte man alles geübt. Wie bekomme ich in der polnischen Apotheke meine Medikamente,  wie funktioniert das mit dem Geldautomaten, wie komme ich mit dem Schneider klar?  Und auch den Trimmpfad hat das Projektteam den Deutschen gezeigt.

Besonders gefreut hat sich Nils Gatzke über die Reaktionen einer alten Dame. Die nämlich sagte nach dem Besuch, wenn demnächst meine Enkelkinder kommen, fahre ich mit denen hierhin und zeige ihnen, was wir hier alles haben. Der polnische  Pizzalieferant hat nun eine  deutsche Internetseite und die Feuerwehr im deutschen Dorf besteht zur Hälfte aus Polen und zur Hälfte aus Deutschen.

Niels Gatzke

Perspektywa ist ein Projekt der RAA: Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Mecklenburg-Vorpommern. Die RAA ist Teil eines Netzwerkes von bundesweit mehr als 40 Arbeitsstellen und arbeitet sowohl politisch als auch konfessionell unabhängig. Die RAA Mecklenburg-Vorpommern e. V. wurde 1999 als eigenständiger Verein gegründet. Neben der landesweit tätigen Geschäftsstelle mit Sitz in Waren (Müritz) gehören zum Verein die beiden Regionalzentren für demokratische Kultur in Anklam und Ludwigslust, die Pädagogische Werkstatt Neubrandenburger Oststadt, das perspektywa-Projektbüro Löcknitz, das Enterprise-Projektbüro Rostock und die RAAbatz Medienwerkstatt Mecklenburgische Seenplatte in Waren (Müritz).

Mehr Informationen  unter:

http://www.raa-mv.de/de/content/impuls-deutschland-und-polen-auf-dem-rechtspopulistischen-weg

http://www.perspektywa.de

 

Mit einem Vorgängerprojekt unter dem Titel perspektywa – Handeln gegen polenfeindliche Ressentiments hatte die RAA 2011/2012 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern gegenüber abwertenden Stereotypen und Wahrnehmungen vom Land Polen und seinen Bewohnerinnen und Bewohnern sensibilisiert. In diesem Rahmen wurden diverse Bildungsangebote und Informationsmaterialen zu Entstehung, Wirkungsweisen und Funktionen von Polenfeindlichkeit entwickelt, die nach wie vor bei der RAA kostenlos abgerufen werden können.