Korallen ernähren sich von Plankton, das sie aus dem Meerwasser filtern. Durch die zunehmende Verschmutzung der Meere nehmen sie dabei auch winzige Plastikpartikel auf. Dieses Mikroplastik wieder auszuscheiden, gelingt den Korallen nicht immer. Sie lagern es in ihr Kalkskelett ein, was einigen Arten nicht gut bekommt: Sie wachsen schlechter und langsamer, entwickeln Korallenbleiche und Nekrosen.
Dr. Jessica Reichert forscht an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) schon lange zu den Auswirkungen der plastikverschmutzten Meere auf Korallen. Nun hat sie gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern untersucht, welchen Einfluss die kleinsten Partikel unseres Mülls auf riffbildende Korallen haben. Besonders große Auswirkungen hatten Kunstfasern aus Kleidung und Reifenabrieb. Insgesamt sehen die Forschenden die untersuchten Korallen durch die derzeitigen Mikroplastik-Konzentrationen jedoch nicht als gefährdet an. In der Fachzeitschrift „Science of The Total Environment“ sind nun zwei Studien zur Korallenforschung erschienen.
Für eine Untersuchung setzte das Forschungsteam zwei Korallenarten acht Wochen lang vier verschiedenen Mikropartikeln aus, die aus den wichtigsten Verschmutzungsquellen stammen: Kunststoffabfällen aus der Umwelt, Kunstfasern aus Kleidung, Rückständen aus dem Automobilsektor – Reifenabrieb, Bremsenabrieb und Lacksplittern – sowie einem Polymer-Mikroplastik, das aus Polyethylen-Partikeln bestand, dem Material, das am häufigsten in der Umwelt zu finden ist.
Diese Teilchen waren jeweils kleiner als ein Millimeter. In mit diesen Mikropartikeln verschmutztem Wasser wurden das Wachstum, die Photosynthese und die Gesundheit der beiden riffbildenden Korallenarten Pfötchenkoralle (Pocillopora verrucosa) und Griffelkoralle (Stylophora pistillata) untersucht. Von diesen beiden Korallenarten ist bekannt, dass sie häufig Mikroplastik aufnehmen.
Kunstfasern lösten die meisten Veränderungen in der Korallenphysiologie aus – möglicherweise deshalb, weil sie sich in den Korallenkolonien verfangen und Reinigungsmechanismen, die bei Mikropartikeln wirksam sein können, hier nicht funktionieren. Auch Reifenabrieb hatte deutliche Auswirkungen auf die Korallen. Insgesamt war die Pfötchenkoralle stärker betroffen als die Griffelkoralle, was an Unterschieden in der Wuchsform und der Ernährungsstrategie der Korallenarten liegen könnte.
Die Mikropartikel hatten Auswirkungen auf das Wachstum: Beide Arten nahmen stärker an Volumen zu, begleitet von einer verringerten Kalkbildung bei der Pfötchenkoralle. „Wir vermuten, dass die Volumenzunahme durch den Einbau von Mikropartikeln in die Skelettstruktur zustande kommt“, so die Studienleiterin Dr. Reichert.
Insgesamt waren die Auswirkungen der Mikropartikel im achtwöchigen Versuchszeitraum auf die Korallen jedoch gering. Offensichtlich können die Korallen den durch die getestete Mikropartikel-Konzentration verursachten Stress über einige Zeit kompensieren. Dies könnte daran liegen, dass die Photosynthese der Algen, die mit den Korallen in Symbiose leben, bei beiden Korallenarten durch die Mikropartikel gesteigert wurde. Die Gründe dafür sind noch unklar.
„Diese Hochregulierung könnte ein Mechanismus sein, um die durch Mikropartikel verminderte Nahrungsaufnahme und den damit verbundenen Energieverlust zu kompensieren“, sagt Dr. Reichert.
Die erhöhte Photosynthese scheint die Auswirkungen von Mikropartikeln erfolgreich abzumildern, da die Exposition während des Versuchszeitraums keinen Einfluss auf das Oberflächenwachstum und die Gesundheit der Korallen hatte.
„Unsere Ergebnisse zeigen auch, dass unterschiedliche Mikropartikel unterschiedliche Auswirkungen auf die Korallenphysiologie haben“, sagt Dr. Reichert. „Daher sollten künftige Studien Partikelmischungen verwenden, um die in den Meeren vorkommenden Mikropartikel besser zu imitieren und ihre Auswirkungen auf Korallen genauer zu bewerten. Zum Schutz der in vielerlei Hinsicht gefährdeten, höchst bedeutsame Ökosysteme der Korallenriffe ist es besonders wichtig, Maßnahmen zur Reduzierung von Rückständen aus Kunstfaser-Kleidung und dem Automobilsektor zu ergreifen, die offensichtlich den größten Einfluss auf die untersuchten Korallen haben.“
An dieser Studie beteiligt waren neben Forschenden der JLU auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts – Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung auf Helgoland sowie des Wageningen Marine Research in den Niederlanden.
In einer weiteren Studie haben Forscherinnen und Forscher der JLU Einblicke in das Ernährungsverhalten einer breiten Palette von riffbildenden Korallenarten erhalten. Dabei konnten sie zeigen, dass diese Korallen genauso häufig auf Mikroplastik reagieren, wie auf Nahrungspartikel, natürlich vorkommende Nicht-Nahrungspartikel wie Sand aber deutlich ablehnen. Im Gegensatz zum natürlichen Futter wurde das meiste Mikroplastik jedoch von den Korallen beim Fressen wieder abgestoßen. Allerdings kann Mikroplastik durch biotische Faktoren wie einen Biofilm auf den Partikeln maskiert werden, so dass diese Teilchen eher einen Fressreiz auslösen.
Ein weiteres Ergebnis dieser Studie: Die konzentrationsabhängige Risikobewertung hat ergeben, dass die Korallen bei den derzeitigen durchschnittlichen Konzentrationen in der Umwelt wahrscheinlich nicht durch Mikroplastik gefährdet sind. Dr. Reichert, Erstautorin auch dieser Studie, erläutert: „Insbesondere ‚Vielfresser‘ wie die Ananaskoralle Blastomussa merleti und die auch durch andere Stressoren gefährdete Pfötchenkoralle könnten dennoch empfindlich auf die zunehmende Verschmutzung der Meere durch Mikroplastik reagieren. Bei der Pfötchenkoralle konnten wir bereits nachweisen, dass sie besonders stark durch Kunstfasern und Reifenabrieb beeinflusst wird.“