Welche Pflanzenart wächst wo, mit welcher anderen zusammen – und warum? Um die Vielfalt der globalen Vegetation sinnvoll zu beschreiben, braucht es nur wenige Eigenschaften jeder Art. Das zeigt ein Forscherteam unter Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. In einer neuen Studie in der Fachzeitschrift „Nature Ecology & Evolution“ präsentieren sie die weltweit erste, globale Vegetationsdatenbank mit über 1,1 Millionen kompletten Pflanzenartenlisten für alle Ökosysteme auf dem Festland. Die Datenbank könnte dabei helfen, die Folgen des globalen Klimawandels besser vorherzusagen.
Egal ob kleine Gräser, Sträucher oder Bäume. Alle Pflanzen haben die gleichen Herausforderungen zu bewältigen: „Zum Beispiel müssen sie einen effizienten Weg finden, Photosynthese zu betreiben, um sich mit Energie zu versorgen. Gleichzeitig kämpfen sie mit ihren Nachbarpflanzen um begrenzte Ressourcen, wie Wasser oder Nährstoffe aus dem Boden“, sagt Prof. Dr. Helge Bruelheide vom Institut für Geobotanik der MLU und Co-Direktor von iDiv.
Ökosystemfunktionen von Pflanzen
Rund 390.000 Pflanzenarten sind heute bekannt. Jede Art hat im Laufe der Zeit sehr unterschiedliche Eigenschaften entwickelt, um auf die jeweiligen äußeren Bedingungen vor Ort zu reagieren. Dazu gehören zum Beispiel die Größe einer Pflanze, die Dicke ihrer Blätter oder Blattinhaltsstoffe. Diese Eigenschaften werden auch als funktionelle Pflanzenmerkmale bezeichnet. „Diese funktionellen Eigenschaften beeinflussen direkt die Ökosystemfunktionen von Pflanzen, also etwa wie viel Biomasse sie produzieren oder wie viel Kohlenstoffdioxid sie aus der Luft binden können“, so Bruelheide. Forscher untersuchten bisher vor allem auf der Ebene von einzelnen Pflanzenarten, welche verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten es von diesen funktionellen Merkmalen gibt. „In der Realität kommen Pflanzenarten aber selten allein vor. Pflanzen leben in Gemeinschaften“, sagt der Geobotaniker Bruelheide. Deshalb benötigt man so genannte Vegetationsdatenbanken, in denen die Angaben zu allen Pflanzen versammelt sind, die an einem bestimmten Untersuchungsort zu finden sind. An der MLU wird die Deutsche Vegetationsdatenbank von Dr. Ute Jandt in der Arbeitsgruppe von Helge Bruelheide betreut. Sie umfasst etwa 200.000 Vegetationsaufnahmen, die aus veröffentlichten und unveröffentlichten Vegetationsstudien stammen. Auch in vielen anderen Ländern wurden und werden ähnliche Projekte durchgeführt.
Bislang mangelte es aber an einer übergeordneten Datenbank, die all diese verschiedenen Datensätze vereinheitlicht und zusammenführt. Aus diesem Grund wurde am Forschungszentrum iDiv die Initiative „sPlot“ gestartet, in deren Rahmen die erste globale Vegetationsdatenbank entwickelt und aufgebaut wurde. In mühevoller Detailarbeit arbeitete das Team daran, die bereits existierenden Datensätze zu vereinheitlichen und zusammenzuführen. „sPlot“ beinhaltet zum heutigen Stand mehr als 1,1 Millionen Vegetationsaufnahmen von allen Kontinenten der Erde, die von Hunderten von Forschern aus aller Welt in den vergangenen Jahrzehnten erhoben wurden. „Jeder Punkt in unserer Datenbank ist ein realer Ort mit genauen Koordinaten und Angaben über alle Pflanzenarten, die dort zusammen leben“, erklärt Bruelheide.
Beziehung der Klimavariablen mit dem Zustand der Phosphor-Versorgung
Diesen riesengroßen Datensatz kombinierte die Forschergruppe mit der „TRY“-Datenbank, der weltweit größten Datenbank für Pflanzenmerkmale, ebenfalls eine Datenbank-Plattform des iDiv. „Dadurch können wir Fragen klären, die bislang noch niemand stellen konnte“, so Bruelheide weiter. Das Forscherteam wollte zum Beispiel wissen, ob es globale Faktoren gibt, die die funktionellen Merkmale von Pflanzengemeinschaften beeinflussen. Dabei zeigte sich, dass Temperatur und Niederschlag entgegen der gängigen Meinung einen relativ geringen Einfluss hierauf haben. „Diese beiden Makrofaktoren können erstaunlich wenig erklären. Unsere Analyse zeigte, dass zum Beispiel die Blätter aller Pflanzen in einem Bestand mit steigender Temperatur, also von der Arktis zum tropischen Regenwald, nicht automatisch dünner werden“, so der Geobotaniker Bruelheide.
Stattdessen fanden die Forscher eine enge Beziehung der Klimavariablen mit dem Zustand der Phosphor-Versorgung im Blatt, die sich im Verhältnis der beiden Nährstoffe Stickstoff und Phosphor widerspiegelt. So nimmt die Phosphor-Versorgung ab, je länger die Vegetationsperiode ist – und dadurch wird auch die Blattdicke beeinflusst. Auch die lokalen Nutzungsbedingungen durch den Menschen oder die Interaktionen verschiedener Pflanzen an einem Ort hätten einen deutlich größeren Einfluss, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Diese Befunde zeigen, dass künftige Berechnungen der Produktion von Pflanzen in einer Region nicht allein anhand einfacher Temperatur-Niederschlags-Modelle bestimmt werden können, so Bruelheide.
Forschung zur Artenvielfalt
Die Studie in „Nature Ecology & Evolution“ ist die erste aus einer ganzen Reihe von bevorstehenden Publikationen aus dem „sPlot“-Konsortium. Denn mit Hilfe der neuen Datenbank lassen sich zahlreiche Fragestellungen der Forschung zur Artenvielfalt erstmals global bearbeiten. Dazu gehören auch Fragen zur Verbreitung gebietsfremder Arten oder zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden verschiedener Erdteile. Die Datenbank soll künftig auch weiteren Wissenschaftlern zur Bearbeitung ihrer eigenen Themen zur Verfügung stehen.