Von der noch unentdeckten Artenvielfalt über widerstandsfähige Wälder bis zu den Auswirkungen des Lebensmittelkonsums auf die Natur: 64 Expertinnen und Experten haben jetzt ihr Wissen und ihre Empfehlungen gebündelt und in Form von „10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung“ für 2024 veröffentlicht. Der neue Bericht des Leibniz-Forschungsnetzwerks Biodiversität zeigt Politik und Gesellschaft Wege auf, wie die biologische Vielfalt auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene wirksam erhalten und nachhaltig genutzt werden kann, und wie sich dadurch zugleich das Klima schützen lässt. Mit der Veröffentlichung fassen die Forschenden aktuelle, wissenschaftliche Fakten zusammen und tragen somit zur Debatte um die nationale Biodiversitätsstrategie bei, die noch vor der nächsten Weltnaturkonferenz im Herbst 2024 verabschiedet werden soll.
„Bereits heute überschreiten wir planetare Belastungsgrenzen, sowohl bei der globalen Erwärmung als auch beim Verlust biologischer Vielfalt. Um diesen Krisen zu begegnen, braucht es gemeinsame Antworten. Wir wissen, dass der Schutz der Biodiversität wesentlich dazu beitragen kann, den Klimawandel abzuschwächen, etwa durch artenreiche Wälder und wiedervernässte Moore, die Kohlenstoff speichern. Nur wenn Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität stärker in den Fokus rücken, kann es gelingen, gegen beide Krisen zugleich vorzugehen“, sagt Kirsten Thonicke, Leitautorin und stellvertretende Abteilungsleiterin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, die das Forschungsnetzwerk koordiniert.
Nach der großen Resonanz auf die 2022 erstmals veröffentlichten „10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung“ haben jetzt Forschende aus insgesamt 52 deutschen und internationalen Forschungseinrichtungen ihre Expertise aus den Umwelt-, Lebens-, Raum-, Sozial-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaften in die Neufassung eingebracht.
„Unsere Empfehlungen bündeln die heute verfügbaren Forschungserkenntnisse für Entscheiderinnen und Entscheider. Die Must-Knows sollen ihnen Orientierungswissen an die Hand geben, um die global beschlossenen Biodiversitätsziele im deutschen Kontext umsetzen zu können“, sagt Autorin Sibylle Schroer vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei.
„Dazu gehört auch anzuerkennen, dass wir bislang nur einen relativ kleinen Teil der kompletten Biodiversität erforscht und verstanden haben. Diese Erkenntnis ist ein wichtiger Schritt zu nachhaltigeren Umweltschutzmaßnahmen, die ökosystembasiertes Lebensraummanagement in den Fokus nehmen sollten – und damit die Funktionen und Interaktionen zwischen Arten und Habitaten, anstatt nur einzelne Arten und Lebensräume zu berücksichtigen.“
Biodiversitätswissen von Fachleuten quer durch die Disziplinen
Für die nationale Umsetzung der 23 globalen Biodiversitätsziele, auf die sich im Dezember 2022 auf der Weltnaturkonferenz die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen geeinigt hatten, wird zurzeit die Nationale Biodiversitätsstrategie 2030 erarbeitet. Um hierfür aktuelle Fakten aus der Wissenschaft zu liefern, wurde die erste Fassung der „10 Must-Knows“ von 2022 um zahlreiche Aspekte erweitert und mit Hilfe aktueller Literatur auf den neuesten Stand gebracht. Der jetzt veröffentlichte Bericht geht etwa darauf ein, wie die Auswirkungen des Lebensmittelkonsums auf die Biodiversität verringert werden können:
„Biodiversität als wichtigen Produktionsfaktor zu begreifen und zu nutzen, trägt dazu bei, Erträge zu stabilisieren, die Landwirtschaft widerstandsfähig zu machen und uns alle, ob Produzenten oder Konsumenten, zu Biodiversitätsmanagern zu entwickeln”, so Autor Jens Freitag vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung.
Die Autorinnen und Autoren geben praktische Empfehlungen für die Politik und zeigen mit Handlungsoptionen für die Gesellschaft auf, was Bürgerinnen und Bürger tun können.
Die BMBF-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) und das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig wirkten als Kooperationspartner an dem Projekt mit. Die „10 Must-Knows“ wurden vor der Veröffentlichung von Gutachterinnen und Gutachtern aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Verbänden kommentiert.
Die „10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung 2024“ umfassen:
1. Klima- und Biodiversitätsschutz gemeinsam verwirklichen
2. Ein gesundes Leben auf einem gesunden Planeten ermöglichen
3. Unentdeckte Artenvielfalt beachten
4. Sprachliche, kulturelle und biologische Vielfalt verknüpfen
5. Vielfältige Nutzung von Waldökosystemen und Biodiversitätsschutz in Einklang bringen
6. Agrar- und Ernährungssystem transformieren
7. Land und Ressourcen schützen
8. Transformativen Wandel durch internationale Zusammenarbeit und Bildung für nachhaltige Entwicklung bewirken
9. Freien Zugang und offene Nutzung von biodiversitätsbezogenen Daten sicherstellen
10. Auswirkungen des Lebensmittelkonsums auf die Biodiversität verringern
Expertise zur Biodiversität in landwirtschaftlich genutzten Böden
Dr. Rita Grosch, stellvertretende Wissenschaftliche Direktorin und Leiterin des Programmbereichs „Biotische Interaktionen“ am Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) leitet die Forschungsgruppe „System Pflanze-Mikroorganismen“. Sie ist Co-Autorin des Must-Know 6 „Agrar- und Ernährungssystem transformieren“.
„Nachhaltige Anbausysteme können zu einer Verbesserung der Bodenqualität und damit gleichzeitig zum Erhalt oder sogar Erhöhung der Artenvielfalt führen. Diese wiederum hat Einfluss nicht nur auf die Produktivität unserer Kulturpflanzen, sondern auch deren Gesundheit und Qualität. Der Boden ist unsere wichtigste Ressource für die Produktion von Nahrungsmitteln, deren Fruchtbarkeit ganz wesentlich von der Biodiversität – beispielsweise der mikrobiellen Diversität – bestimmt wird “, hebt die Phytopathologin hervor.