Auf dem indischen Subkontinent werden in Zukunft wahrscheinlich immer häufiger verschiedene Extremwetter-Ereignisse zusammenkommen. Gerade die fruchtbare und dichtbesiedelte Ebene um Indus und Ganges wird sich daher vermutlich zu einem Hotspot des Klimawandels entwickeln – mit bedrohlichen Folgen für mehrere hundert Millionen Menschen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die Wissenschaftler des Indian Institute of Technology und der Universität Augsburg vorgelegt haben.
Die Forscher haben in ihrer Studie sogenannte „compound extreme events“ untersucht. Darunter versteht die Fachwelt verschiedene Extremwetterlagen, die zeitgleich oder direkt aufeinander folgend auftreten. Ein Beispiel ist eine Dürre, die von einer Hitzewelle begleitet wird. Es gibt aber auch den umgekehrten Fall: Extrem hohe Temperaturen, auf die tage- oder wochenlanger Starkregen folgt.
„Die Schäden, die durch die Kombination solcher Wetterphänomene hervorgerufen werden, sind meist besonders gravierend“, erklärt Prof. Dr. Harald Kunstmann vom Zentrum für Klimaresilienz der Universität Augsburg. „Daher haben wir analysiert, wie häufig derartige compound events in Indien in Zukunft auftreten könnten und welche Regionen dort besonders betroffen sein dürften.“
Die Wissenschaftler nutzten dafür eine ausgefeilte statistische Methode. Sie wurde ursprünglich von Finanzmathematikern entwickelt, die damit die Wahrscheinlichkeit berechnen, mit der bestimmte Entwicklungen zusammen eintreten. An der Börse nutzt man diese sogenannten Copula-Verfahren beispielsweise, um die miteinander gekoppelten Preise für Öl- und Gas besser vorherzusagen. „Wir haben diese Methoden in der Klimaforschung aufgegriffen. Uns interessiert hier das gemeinsame Auftreten von extrem hohen Temperaturen zusammen mit Dürren oder Starkregen“, sagt Kunstmann.
„Mit der Copula-Methode können wir abschätzen, wieviel wahrscheinlicher solche compound events im Laufe der kommenden Jahrzehnte werden.“
Vier Entwicklungs-Szenarien durchgerechnet
Dazu haben die Forscher insgesamt vier mögliche Entwicklungs-Szenarien durchgerechnet. Das günstigste davon basierte auf der Annahme, dass in Zukunft weltweit der Ausstoß von Treibhausgasen deutlich zurückgeht. Im ungünstigsten Szenario kommt es dagegen zu einer verstärkten Ausbeutung der fossilen Brennstoffressourcen. Jedes dieser Szenarien trifft also Annahmen über den zukünftigen Kohlendioxid-Ausstoß. Darin erschöpfen sie sich aber nicht: Sie beschreiben auch, wie sich Bevölkerungszahlen, die Verteilung der Ressourcen, technologische Trends und Lebensstile in Zukunft entwickeln werden. Sie sind also mögliche, in sich konsistente Blaupausen für die Welt von morgen.
„Die Szenarien beinhalten also auch Annahmen dazu, wo künftig wie viele Menschen leben werden“, betont Kunstmann. „Das machen wir uns in unserer Studie zunutze: Wir können dadurch einerseits für jedes Szenario sagen, wo kombinierte Extremwetter-Phänomene in Zukunft häufiger werden. Andererseits können wir berechnen, wie viele Personen davon betroffen sein werden.“
Ergebnis dieser Analyse sind geografische Karten, aus denen die „Hotspots“ des Klimawandels hervorgehen: Die Regionen, in denen besonders viele Bewohnerinnen und Bewohner besonders stark unter der künftigen Entwicklung leiden werden. In jedem der Szenarien zeigte sich in der Untersuchung, dass auf dem indischen Subkontinent vor allem das Tiefland um Indus und Ganges betroffen sein wird.
Dichtbesiedelte Kornkammer Indiens
„Die indo-gangetische Ebene ist anderthalbmal so groß wie Spanien und zählt schon jetzt zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Erde“, sagt Kunstmann. „In Zukunft ist dort ein weiterer Anstieg der Bevölkerungszahl zu erwarten.“
Gleichzeitig ist das Tiefland sehr fruchtbar. Angebaut werden hier vor allem Reis und Weizen. Durch die globale Erwärmung steigt die Gefahr, dass immer häufiger Teile der Ernte durch Hitze, Dürren und Starkregen vernichtet werden.
„Unsere Ergebnisse können der Politik als Entscheidungs- und Planungshilfe dienen“, erklärt Kunstmann: „Selbst im günstigsten Szenario werden die Menschen in der indo-gangetische Ebene sehr stark unter dem Klimawandel leiden. Daher ist es wichtig, sich rechtzeitig auf diese Bedrohung vorzubereiten: durch Saatgut, das besser mit Hitze und Trockenheit klarkommt. Durch Dämme, die die Gefahr von Überschwemmungen minimieren. Aber auch durch die Speicherung von Niederschlägen zu Zeiten, in denen sie überreichlich vorhanden sind, um sie dann später bei Trockenheit zur Bewässerung einsetzen zu können.“ Mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen könne sich Indien besser für die drohenden Änderungen wappnen.
„Wir müssen die Erderwärmung bremsen, das ist die Ursache für die sich verändernden Risiken von Hitze, Dürre und Hochwasser“, ergänzt Kunstmann. „Wir werden sie aber nicht mehr komplett einschränken können, daher müssen wir uns anpassen. Wir am Zentrum für Klimaresilienz arbeiten an Methoden und Analysen, mit denen sich zeigen lässt, wo Vorbereitung und Anpassung besonders Not tun und wie sie erfolgen könnten.“
Die Forscher planen, ihre bisher auf Indien begrenzte Studie deutlich auszuweiten: Sie werden nun für den gesamten Globus modellieren, wo künftig besonders viele Menschen von der globalen Erwärmung und „compound extreme events“ betroffen sein werden.