Länder mit begrenzten Möglichkeiten für erneuerbare Energien könnten bis zu 20% der Kosten für grünen Stahl und bis zu 40% für grüne Chemikalien aus grünem Wasserstoff einsparen, wenn sie deren energieintensive Produktion verlagern und aus Ländern importieren, in denen erneuerbare Energien preiswerter sind. Das zeigt eine neue Studie des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Diese Sogkraft Erneuerbarer würde starke Anreize für Unternehmen schaffen, in diesen Ländern in grüne Produktionsanlagen zu investieren. Länder, in denen die erneuerbaren Energien knapp sind, könnten sich ganz auf die nachgelagerte Produktion und Veredelung konzentrieren, um ihre industrielle Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
„Unsere neue Studie zeigt, dass Länder mit eher wenigen Erneuerbaren, wie Teile der EU, Japan und Südkorea, zwischen 18 und 38 Prozent ihrer Produktionskosten einsparen könnten“, erklärt Philipp Verpoort, Wissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Hauptautor der in Nature Energy veröffentlichten Studie.
„Möglich würde das durch eine Verlagerung der Produktion von industriellen Grundstoffen wie grüner Stahl und Chemikalien auf Basis von grünem Wasserstoff in Länder, in denen erneuerbare Energien günstig sind.“ Der Einsatz von grünem Strom und Wasserstoff ist den Forschenden zufolge eine wichtige Voraussetzung, um die Treibhausgasemissionen bei der Herstellung von Stahl und Chemikalien zu verringern. Nicht alle derzeitigen Industrieländer wären aber aufgrund ihrer geographischen Gegebenheiten in der Lage, diese langfristig in ausreichenden Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen herzustellen.
„Wenn sich solche Länder darauf konzentrieren, grünen Wasserstoff im eigenen Land zu produzieren oder zu importieren, wird dies sowohl für die Industrie als auch für die Gesellschaft kostspielig sein. Das könnte langfristig sogar in einer Sackgasse enden, da dies die Wettbewerbsfähigkeit auf globalen Märkten beeinträchtigt kann. Der Import von industriellen Zwischenprodukten wie Eisenschwamm, Ammoniak oder Methanol und der Fokus auf die nachgelagerte Produktion und Veredelung könnten eine kostengünstigere und robustere Strategie zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit sein“, so Verpoort.
Import von Wasserstoff könnte schädlich sein
Die Forschenden untersuchten die grünen Wertschöpfungsketten von drei primären Grundstoffen: Stahl, Harnstoff und Ethylen. Sie argumentieren, dass im Jahr 2040 ein Strompreisunterschied von 4EURct/kWh zwischen Produktionsstandorten mit wenigen Erneuerbaren (z.B. Deutschland, Japan oder Südkorea) und günstigen Standorten (z.B. Australien, Chile, Südafrika) zu erwarten ist.
Das Forschungsteam bewertete dann die Kosteneffizienz konkurrierender Dekarbonisierungsstrategien, indem sie verschiedene Handelsoptionen verglichen – Import von Industrieprodukten, Import von Zwischenprodukten, Import von Wasserstoff und keine Importe (d. h. vollständig inländische Produktion). Ihre Analysen zeigen, dass im Falle einer Standortverlagerung enorme Kosten eingespart werden könnten und dass der Import von Wasserstoff keine kosteneffiziente Strategie zu sein scheint – vor allem, wenn die Einfuhr per Schiff erfolgt.
In der Studie werden auch andere Faktoren erörtert, welche die Investitionsentscheidungen von Unternehmen beeinflussen, wie die Vorteile kurzer und integrierter Wertschöpfungsketten, die Zuverlässigkeit der Lieferketten, Qualitätsanforderungen und öffentliche Subventionen für eine emissionsarme Produktion. Dem Autorenteam zufolge ist es jedoch unwahrscheinlich, dass diese Faktoren allein eine teilweise „grüne Verlagerung“ der Produktion verhindern können, wenn man das Ausmaß der in der Studie ermittelten Kosteneinsparungen bedenkt.
Veränderte Handelsstrukturen als globales Win-Win-Szenario
„Wir gehen davon aus, dass sich Handel und Produktion in den energieintensiven Industriezweigen weltweit umgestalten werden. Die Produktion wird sich wahrscheinlich in Länder verlagern, die viele Erneuerbare haben und wegbewegen von Regionen mit wenig Potential für Erneuerbare. Akteure, die teure Subventionen zum dauerhaften Schutz nationaler Industrieproduktion befürworten, würden diese Verlagerung als „Deindustralisierung“ bezeichnen. Dieser Begriff ist jedoch sowohl ungenau als auch irreführend“, erklärt Falko Ueckerdt, PIK Forscher und Mitautor der Studie.
„Es geht nur um die ersten Schritte in der langen Wertschöpfungskette von energieintensiven Grundstoffen, die unserer Studie zufolge verlagert werden könnten. Unsere Analyse zeigt, dass eine solche Verlagerung Vorteile sowohl für importierende als auch für exportierende Länder hätte. Entwicklungsländer mit preiswertem Zugang zu Erneuerbaren könnten beispielsweise zu Exporteuren werden und von den Vorteilen der Industrialisierung profitieren. Gleichzeitig können sich Industrieländer auf ihre wirtschaftlichen Stärken konzentrieren, indem sie sich auf industriellen Aktivitäten spezialisieren, die den größten wirtschaftlichen Wert aus knapper und teurer grüner Energie schaffen, wie zum Beispiel das Kochen, Gießen und Walzen hochqualitativer Stähle aus grünem Eisenschwamm.“