Es besteht eine wachsende Nachfrage nach Informationen über die Umweltauswirkungen der Verwendung von recyceltem Kunststoff. Veröffentlichungen und zuverlässige Daten sind jedoch rar. Jetzt ist es an der Zeit, dass Industrie, Wissenschaft und politische Entscheidungsträger Ideen austauschen und einen Konsens darüber erzielen, wie die Umweltauswirkungen von recy-celten Kunststoffen modelliert werden können. Genau hier setzt das Fraunhofer CCPE compact am 20. Juni 2024 zum Thema »Auswirkungen von recycelten Kunststoffen – Ein Stakeholder-Ansatz zur Ermittlung eines Konsenses in der Ökobilanz« an. Einen ersten Einblick geben uns Dr.-Ing. Anna Kerps und Tanja Fell im Interview.
Anna, du bist die Hauptautorin des im Januar 2024 erschienenen Positionspapiers »Challenges and requirements in comparative life cycle assessment of plastics recycling« von Fraunhofer CCPE. Was ist daraus die für dich wichtigste Botschaft?
Anna Kerps: Wir – und damit meine ich vor allem die Forschung und die Industrie – haben noch ein Stück Weg vor uns, bis wir belastbare Aussagen zu vergleichenden Umweltwirkungen von recycelten Kunststoffen durchführen können. Derzeit fehlt es bei LCA-Studien im Bereich des Kunststoffrecyclings an einheitlichen und harmonisierten Regeln, was zu irreführender Kommunikation und Entscheidungsfindung führen kann. Im Positionspapier haben wir zehn Herausforderungen und zehn Anforderungen formuliert, die die Vergleichbarkeit von unterschiedlichen Studien im Bereich des Kunststoffrecyclings betreffen. Gerade arbeiten wir daran, einige dieser Herausforderungen beispielhaft am lösemittelbasierten Recycling zu adressieren, was wir u.a. im CCPE-Cluster weiterentwickeln. Wir möchten die Unterschiede und Unvergleichbarkeiten durch Modellierungsentscheidungen am Beispiel des lösemittelbasierten Recyclings sichtbar machen. Gerade neue Recyclingtechnologien haben andere Anforderungen an die Systemgrenzen und Modellierungsentscheidungen. Um die umweltspezifischen Vorteile von recycelten Kunststoffen im Vergleich untereinander und zu Kunststoffneuwaren aufzeigen zu können, ist es nötig, einen einheitlichen Bemessungsrahmen für die Ökobilanz zu schaffen, damit die Rohstofftypen miteinander verglichen werden können.
Wie zahlt darauf bereits eure Recyclingtechnologie, das lösungsmittelbasierte Recycling, ein?
Tanja Fell: Wir halten Kunststoffressourcen aus solchen Abfällen im Kreislauf, die ansonsten als nicht recyclingfähig gelten, d.h. wir kommen z.B. aus einem stark verschmutzen post-consumer Folien-Verpackungsabfall und können unsere Rezyklate wieder in eine Folienanwendung für Verpackungen bringen.
Die dafür erforderliche hohe Rezyklatqualität erreichen wir zum einen durch die hohe Selektivität unseres Löseprozesseses und durch unsere effektiven Reinigungsverfahren. Das Verfahren benötigt weniger Energie als die Neuwareherstellung und das chemische Recycling, kurzum wir erreichen durch den Prozess hohe Qualitäten und eine positive Ökobilanz.
Das Verfahren sollte nicht als Konkurrenz zum thermo-mechanischen Recycling verstanden werden, sondern vielmehr als eine ergänzende physikalische Recyclingroute. Denn der lösungsmittelbasierte Prozess zielt vor allem auf heterogene Abfallstoffe, die bislang entweder nur thermisch verwertet werden oder nur zu sehr minderwertigen Rezyklaten verarbeitet werden können.
Ihr werdet im Anschluss an das Fraunhofer CCPE compact die Industrieunternehmen zu Interviews bitten. Um was soll es dabei gehen?
Anna Kerps: Genau! Wir möchten mit den Kunststoffrecyclern in einen Dialog treten, um die theoretischen Herausforderungen aus dem Positionspapier mit dem praxisnahen Nutzen und Aufwand beim Recycling abzugleichen. Ziel ist es, die Herausforderungen besser zu verstehen und gemeinsam in einem Stakeholder-Ansatz zu diskutieren. Modellierungsentscheidungen in der Ökobilanz sind in der Regel geprägt von unterschiedlicher Motivation, Zielsetzung, Aktualität und zugrundeliegender (wissenschaftlicher) Expertise sowie der potenziellen Anwendungsfelder der Kunststoffe. Zum einen möchten wir Wissen vermitteln und in einen Dialog treten, zum anderen ist es das Ziel, einen Konsens zu schaffen. Viele Einzelstudien zum Kunststoffrecycling zeigen unabhängig voneinander, dass der Einsatz von Rezyklat im Vergleich zu Neuware zu Umweltvorteilen führt. Bisher lassen sich diese Studien allerdings nicht untereinander vergleichen. Gemeinsam mit den Industrieunternehmen möchten wir den Einsatz von Rezyklaten durch vergleichbare Modellierungsentscheidungen stärken.
Was ist Euch wichtig, der Industrie in Bezug auf die Ökobilanz von recyceltem Kunststoff mit auf den Weg zu geben?
Anna Kerps: Es kann nicht sein, dass die Rezyklate große Teile der Belastungen der Emissionen aus der nachgelagerten Verbrennung von mitgesammelten Störstoffe tragen. Da das Recycling ein multi-funktionaler Prozess ist und gleichzeitig Abfall verwertet und neues Material erzeugt wird, sollten die Umweltwirkungen der Sammlung, Sortierung und dem Recycling entsprechend der Funktion der Abfallverwertung und der Ressourcenbereitstellung zugeordnet werden. Wir möchten dieses Multifunktionalitätsproblem gerne gemeinsam lösen. Startpunkt für den Austausch ist die kommende Online-Veranstaltung, wo wir die Herausforderungen nochmal aufarbeiten, um dann gemeinsam in den Dialog zu treten.