Wie kann die Küste nachhaltig an den Klimawandel angepasst werden?

Die Inseln mit ihren Dünen dienen als natürliche Wellenbrecher, hier ein Blick auf den Weststrand auf Spiekeroog. Oliver Lojek/TU Braunschweig

Der Meeresspiegel steigt immer schneller an und verändert die Küstenlandschaften weltweit. Allein in den vergangenen 30 Jahren wurde in der Deutschen Bucht ein Anstieg von etwa zehn Zentimetern verzeichnet. Diese Entwicklung stellt auch die niedersächsische Nordseeküste vor enorme Herausforderungen: Wie kann die Küste nachhaltig, verantwortungsvoll und behutsam an den Klimawandel angepasst werden? Und wie lassen sich Nutzung und Schutz der natürlichen Ressourcen bestmöglich in Einklang bringen? Antworten darauf will der „Wissenschaftsraum CoastAdapt“ unter Leitung der Technischen Universität Braunschweig liefern und ein international sichtbares Küstenkompetenzzentrum schaffen.

Die Auswirkungen des Klimawandels erfordern ständige Anpassungsmaßnahmen an den Küsten. Und sie erfordern unterschiedliche Sichtweisen, Erfahrungen sowie die Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen, um neue Lösungen zu entwickeln. Deshalb bringt der Wissenschaftsraum „CoastAdapt“ Experten aus dem Küsteningenieurwesen und der Küstenforschung zusammen, vernetzt also die Ingenieurswissenschaften mit den Naturwissenschaften, Universitäten mit Fachbehörden und Verbänden in Niedersachsen.

„Wir möchten hier einen starken Nukleus für das Thema Küste schaffen, um den Küstenraum nachhaltig und vorausschauend weiterzuentwickeln“, sagt Projektkoordinator Professor Nils Goseberg vom Leichtweiß-Institut für Wasserbau der TU Braunschweig.

Wissenschaftler aus Braunschweig, Hannover und Oldenburg arbeiten dabei eng mit Experten aus der Praxis, wie dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz und der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer, zusammen.

Lernen aus der Vergangenheit

Um Strategien für den künftigen Küstenschutz zu erarbeiten, schauen die Forschenden auch in die Vergangenheit. „Denn Küstenschutz gibt es schon rund 700 Jahre in dokumentierter Form in Niedersachsen“, so Professor Goseberg. „Wir wollen aus der Vergangenheit Erkenntnisse für die Zukunft gewinnen. Dabei können wir von der prä-Deichbau Küstenlandschaft lernen, was modellhaft entlang von Profilverläufen von der Dünenküste der Inseln über das Watt, die Salzwiesen, den gedeichten Küsten mit Marsch und Mooren sowie dem Festland bis zur Geest geschehen wird.“ Seine Expertise bringt hier auch das Niedersächsische Institut für historische Küstenforschung in Wilhelmshaven mit ein. Ausgewertet werden Daten aus Archiven und Erfahrungswissen zur Entwicklung neuer Ansätze, die über das bloße Erhöhen der Deiche hinausgehen. „Unsere Erkenntnisse lassen wir dann in den adaptiven Küstenschutz einfließen.“

Natürliche Schutzmechanismen optimieren

Im Fokus stehen hier die Wattflächen und Inseln mit ihren Dünen, die als natürliche Wellenbrecher dienen. Diese dämpfen die Wellenergie und schützen somit die Küstenschutzbauwerke vor zu hoher Belastung. Die Wissenschaftler*innen erforschen, wie Dünen für den Hochwasserschutz optimiert werden können und wie die Bevölkerung in den Hochwasserschutz einbezogen werden kann. Darüber hinaus nehmen die „CoastAdapt“-Partner die Salzwiesen in den Blick, die bereits jetzt einen wesentlichen Baustein des Küstenschutzsystems an der Niedersächsischen Festlandküste bilden. Durch den Meeresspiegelanstieg steigt jedoch die Gefahr, dass bestehende Salzwiesen durch stärkere Strömungen und Wellen erodieren. Deshalb sind innovative technische Maßnahmen zur Seegangs- und Strömungsreduzierung erforderlich.

Salzwiesen bilden einen wesentlichen Baustein des Küstenschutzsystems an der Niedersächsischen Festlandküste. Diese Salzwiesenlagune ist in St. Peter-Ording zu sehen. Björn Mehrtens/TU Braunschweig

In einem weiteren Projekt im Wissenschaftsraum wollen die Forschenden Sturmfluten aus der Zeit vor dem Deichbau analysieren. Die Auswirkungen prähistorischer Sturmfluten auf die unbedeichte Küstenlandschaft unterscheiden sich stark von denen auf die bedeichte Küste. Die einst breiten Übergangszonen zwischen offenem Wattenmeer und Festland spielten eine zentrale Rolle für die Anpassungsfähigkeit des Küstengebiets an einen steigenden Meeresspiegel und als Pufferzone bei Sturmfluten.

Ausbildung neuer Fachkräfte

Um die Herausforderungen im Küstenraum bewältigen zu können, soll ein neuer Masterstudiengang an den Universitäten in Braunschweig, Hannover und Oldenburg vorbereitet werden. Der ingenieur- und naturwissenschaftlich geprägte, englischsprachige Studiengang „Sustainable Coastal Engineering and Science“ soll standortübergreifend an den Universitäten in Braunschweig, Hannover und Oldenburg angeboten werden und zielt darauf ab, Fachkräfte interdisziplinär auszubilden. „Ziel ist es, für die interdisziplinären Belange des Küstenschutzes eine größere Wissenstiefe zu erreichen – und zwar ingenieurwissenschaftlich als auch naturwissenschaftlich“, erklärt Professor Goseberg. Bereits in den bestehenden Studiengängen wollen die Universitäten gemeinsame Summer und Winter Schools sowie Exkursionen anbieten – im Sommer im Freiland an der Küste, zum Beispiel auf einer der Ostfriesischen Inseln. Im Winterhalbjahr soll eine Winter School am Forschungszentrum Küste von TU Braunschweig und Leibniz Universität Hannover stattfinden.

Nach der vierjährigen Förderzeit soll der Studiengang mit einem gemeinsamen Curriculum zur Genehmigung durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) vorgelegt werden und der Wissenschaftsraum zu einem „Wissens- und Innovationsökosystem Küsteningenieurwesen und Küstenforschung“ ausgebaut sein. Im Anschluss an die Vorarbeiten im Wissenschaftsraum könnte dann die Vision zur Schaffung eines international sichtbaren Küstenkompetenzzentrums niedersächsischer Prägung in die Verwirklichung gehen.

Projektdaten

Im „Wissenschaftsraum CoastAdapt“ arbeitet ein interdisziplinäres Team – mit Akteur*innen aus Universitäten sowie Landesbetrieben und Fachverwaltungen. Neben der TU Braunschweig sind die Leibniz Universität Hannover, die Universität Oldenburg, das Niedersächsische Institut für historische Küstenforschung, der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz und die Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer beteiligt. Als Teil des Programms „zukunft.niedersachsen“ fördern das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) und die Volkswagenstiftung den „Wissenschaftsraum CoastAdapt“ mit drei Millionen Euro über vier Jahre.