Weltweit leiden über 800 Millionen Menschen Hunger, etwa zwei Milliarden sind übergewichtig. Wie Nahrungsmittel heute produziert und verarbeitet werden, trägt außerdem zum Klimawandel sowie Biodiversitätsverlust bei und begünstigt prekäre Arbeitsbedingungen. Damit sich das ändert, müssen die Agrar- und Ernährungssysteme grundsätzlich transformiert werden.
Maßgeblich können die Agrar-, Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften sowie die angrenzenden Disziplinen dazu beitragen. Hierfür muss sich das Wissenschaftsfeld jedoch selbst verändern, wie der Wissenschaftsrat (WR) in seinen Empfehlungen „Perspektiven der Agrar-, Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften“ analysiert.
Zwar sind die betreffenden Disziplinen international anerkannt und im deutschen Wissenschaftssystem breit verankert – von den Hochschulen bis zu den Ressortforschungseinrichtungen –, doch sie sind zugleich fragmentiert und nicht ausreichend auf die notwendigen Transformationsaufgaben ausgerichtet.
„Die Agrar-, Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften müssen sich neu orientieren und systemisch untereinander und mit angrenzenden Disziplinen – von der Medizin bis zu den Sozialwissenschaften – zusammenwirken, um zur Lösung der großen, mit der weltweiten Ernährung verbundenen Probleme beizutragen“, erklärt der Vorsitzende des Wissenschaftsrats Wolfgang Wick. „Die notwendige Neuausrichtung kann nur dann gelingen, wenn die Politik sie konsequent und abgestimmt über Ressort- und Landesgrenzen hinweg unterstützt und Förderer wie auch Leitungen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen die Neuausrichtung des Feldes mit vorantreiben“, betont Wick.
Zentrale Empfehlungen für das Wissenschaftsfeld sind:
- die interdisziplinäre Zusammenarbeit und den Austausch miteinander sowie mit angrenzenden Disziplinen zu verstärken, etwa mit den Umwelt-, Wirtschafts-, Gesundheits-, Geistes- und Sozialwissenschaften
- die transdisziplinäre Forschung etwa in Reallaboren deutlich zu stärken
- Anreiz- sowie Förderstrukturen dafür auszubauen und weiterzuentwickeln
- Forschungsinfrastrukturen für die Zusammenarbeit zu öffnen
- gemeinsame Standards für das Forschungsdatenmanagement zu entwickeln und Zugriff auf Daten auch aus außerakademischen Einrichtungen zu ermöglichen
- Studienangebote auf die Transformationsanforderungen auszurichten und ihre Attraktivität angesichts rückläufiger Studierendenzahlen zu erhöhen
- in der Wissenschaftskommunikation die systemische Perspektive zu vermitteln
- Politikberatung ressortübergreifend zu organisieren und an die Transformationsanforderungen anzupassen
Zur Stärkung der systemischen Zusammenarbeit empfiehlt der WR außerdem die Schaffung mehrerer Food Systems Research Hubs als längerfristige Zusammenschlüsse starker Partnereinrichtungen mit einer gemeinsamen Governance sowie die Einrichtung ei-nes Synthesezentrums für Metaanalysen und Datensynthese.
Der WR unterstreicht, dass die Umsetzung dieser Strukturinnovationen einen umfassenden Ansatz erfordert, der alle Ebenen des wissenschaftlichen Systems einbezieht und flexibel genug ist, um auf neue Erkenntnisse und Entwicklungen reagieren zu können. Hierzu ist der regelmäßige Austausch aller beteiligten Akteure nötig.
Der WR hat seine Empfehlungen auf Bitte des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erarbeitet. Sie bauen auf einem vom WR im April 2023 verabschiedeten Positionspapier auf.