Verringert sich die Luftverschmutzung, verbessert sich die mentale Gesundheit. Nachdem Umweltzonen als kommunale Maßnahmen eingerichtet wurden, ist die verkehrsbedingte Luftverschmutzung gesunken – und infolgedessen die Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen, zeigt eine neue Studie des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).
Das Wichtigste in Kürze:
• Psychische Erkrankungen verursachen erhebliches Leiden und führen zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität. Zudem verursachen sie erhebliche direkte Behandlungskosten im Gesundheitssystem sowie indirekte Kosten, beispielsweise durch sinkende ökonomische Produktivität. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt die weltweiten Kosten, die durch Depressionen entstehen, auf etwa eine Billion US-Dollar.
• Die medizinische Fachliteratur zeigt einen plausiblen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und psychischen Erkrankungen. Eine neue Studie des RWI Essen und des DIW Berlin untersucht den kausalen Effekt im Kontext deutscher Großstädte (über 100.000 Einwohner) anhand administrativer Krankenkassendaten. Aus Datenschutzgründen werden die Individualdaten vor der Analyse auf Postleitzahlebene aggregiert.
• Seit 2008 wurden in Deutschland Umweltzonen eingeführt, um EU-Luftqualitätsgrenzen einzuhalten. In diesen Gebieten ist das Befahren mit stark luftverschmutzenden Fahrzeugen verboten. Die vorliegende Studie zeigt, dass sich die Luftqualität durch die Maßnahme deutlich verbessert hat. In den betroffenen Gebieten ist die Belastung durch Feinstaub (PM10) und Stickstoffdioxid (NO2) deutlich gesunken. Nach Einführung der Umweltzonen sind in den betroffenen Gebieten die Feinstaubkonzentrationen um rund 10 Prozent (Reduktion von 2,5 µg/m³) und die Stickstoffdioxid-Werte um etwa 15 Prozent (Reduktion von 4,8 µg/m³) zurückgegangen.
• Durch die kombinierte Verringerung von Feinstaub und Stickstoffdioxid verbessert sich die mentale Gesundheit erheblich. Die bessere Luftqualität senkt das Risiko einer diagnostizierten Depression um 3,5 Prozent. In den erfassten Gebieten bedeutet dies, dass die Inzidenz von 6,7 auf 6,5 Prozent sinkt. Ebenso reduziert sich das Risiko einer diagnostizierten Angststörung um 4 Prozent, somit sinkt die Inzidenz in den Gebieten von 6,2 auf 6 Prozent. Darüber hinaus sinkt die Wahrscheinlichkeit, Antidepressiva verschrieben zu bekommen, um etwa 4 Prozent (Reduktion der Inzidenz von 7,3 auf 7 Prozent). Das Risiko, Spezialisten wie Psychotherapeuten oder Psychiater aufsuchen zu müssen, reduziert sich um 5,7 Prozent, was in den Gebieten einer Verringerung der Inzidenz von 6,2 auf 5,9 Prozent entspricht.
• Ein Blick auf die betroffenen Personengruppen zeigt: Insbesondere für jüngere Personen (15- bis 29-Jährige) sinkt das Risiko einer psychischen Erkrankung, wenn die Luftqualität steigt. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die Feinstaubbelastung aufgrund der andauernden Entwicklung des Gehirns bei jüngeren Personen erhebliche Schäden verursachen kann. Außerdem sind letztere aufgrund ihres Lebensstils häufiger hoher Luftverschmutzung in Innenstädten ausgesetzt.
• Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Umweltzonen in Deutschland pro Jahr etwa 23.000 Fälle diagnostizierter Depressionen verhindert haben, was zu jährlichen Einsparungen bei den öffentlichen Gesundheitsausgaben in Höhe von 150 bis 200 Millionen Euro geführt hat.
• Aus der medizinischen Forschung der vergangenen Jahre ist bekannt, dass durch Luftverschmutzung hervorgerufene Entzündungen und oxidativer Stress im menschlichen Körper Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen verursachen können. Ähnliche Entzündungsprozesse spielen auch bei der Entwicklung von mentalen Erkrankungen eine Rolle. Insgesamt deuten die Studienergebnisse darauf hin, dass die verkehrsbedingte Luftverschmutzung erhebliche Auswirkungen auf die mentale Gesundheit hat – und zwar in ähnlicher Größenordnung wie auf die kardiovaskuläre Gesundheit.
• Die Studie basiert auf administrativen Gesundheitsdaten einer deutschen Krankenversicherung, geografischen Daten des Umweltbundesamtes (UBA) und kleinräumigen Daten des RWI-GEO-GRID Datensatzes, welche durch das Forschungsdatenzentrum Ruhr am RWI (FDZ Ruhr) bereitgestellt werden. Der Untersuchungszeitraum reicht von 2005 bis 2019.
„Unsere Studie untersucht die Beziehung zwei drängender Probleme mit hoher gesellschaftlicher Relevanz. Wir stellen fest, dass eine bessere Luftqualität in Großstädten auch die mentale Gesundheit erheblich verbessern kann“, sagt RWI-Wissenschaftler Johannes Brehm. „Umweltzonen schützen somit Betroffene, insbesondere junge Menschen. Das ist besonders wichtig, denn die psychische Gesundheit dieser Altersgruppe hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert.“