Erdbeben, Seuchen, Tyrannei, Krieg – seit seinen Anfängen hat das Theater Krisen zum Thema gemacht. In den letzten Jahren drehen sich immer mehr Inszenierungen um den Klimawandel. Welche Darstellungsformen eignen sich dafür, wieviel Komplexität lässt sich vermitteln? Das erforscht der Regisseur Tobias Rausch während eines einjährigen Fellowships am RIFS.
„Die Herausforderung besteht darin, einerseits nicht zu einem sekundären Vermittler wissenschaftlicher Erkenntnisse zu werden und dadurch die ursprünglichen künstlerisch-theatralischen Qualitäten zu verlieren, andererseits diese Erkenntnisse aber auch nicht ‚um einer guten Geschichte willen‘ in einfache Erzählmuster zu zerlegen“, sagt Rausch. Eigentlich sei das Theater „der perfekte Ort“, um Komplexität, Ambivalenz und Widersprüche gesellschaftlich zu verhandeln. Dramaturgische und narrative Darstellungsformate für die Komplexität der Klimakrise seien jedoch noch nicht ausreichend entwickelt.
Mobilitätswende auf die Bühne gebracht
Tobias Rausch arbeitet seit 2001 als Theaterregisseur und -autor, zuletzt leitete er fünf Jahre lang die Bürger:Bühne am Staatsschauspiel Dresden, die Bürgerinnen und Bürger zum Mitmachen einlädt. In mehreren Inszenierungen beschäftigte er sich dort mit Nachhaltigkeitsthemen wie der Mobilitätswende und den Auswirkungen des Nuklearzeitalters. So brachte die Produktion „Tausend Sonnen“ ehemalige Bergleute, Mitarbeitende und Anwohnende des Uranbergbau-Unternehmens Wismut, das in der DDR bis zu 130.000 Menschen Arbeit bot, auf die Bühne. In „Asphalt“ trugen Dresdner Bürgerinnen und Bürger Erlebnisse und Abenteuer mit dem Auto zusammen und suchten nach einem Ausweg aus dem Autoparadigma.
Auch das Thema Klimakrise, so Rauschs Forschungshypothese, profitiert von der Beteiligung verschiedener Bevölkerungsgruppen und der gemeinschaftlichen Erarbeitung einer Inszenierung. „Dieses Verständnis, ‚Dort gibt es das Publikum und dort ist das Schauspiel‘, das funktioniert häufig nicht mehr so gut. Die Vorstellung davon, was ein Autor oder was eine Regie ist, verändert sich gerade sehr stark. Es geht in die Richtung, auf der Bühne gemeinsam zu forschen. Deshalb werden auch Kooperationen zwischen Kunst und Wissenschaft immer bedeutender.“
Eine Toolbox für Theater und Wissenschaftskommunikation
Mit dem RIFS kam Rausch bereits 2019 in Kontakt, als er mit einem Team, zu dem auch RIFS-Forschungsgruppenleiter Manuel Rivera gehörte, die Fachtagung „Klima trifft Theater – Zur theatralen Erzählbarkeit der Klimakrise“ in der Heinrich-Böll-Stiftung organisierte. „Wir hatten das als kleine Arbeitskonferenz konzipiert, aber dann haben sich innerhalb weniger Tage über 200 Leute gemeldet, die Interesse hatten. Da haben wir festgestellt, dass viele Leute gerade am selben Problem arbeiten“, sagt Rausch. Er nahm viel Inspiration für seine Dresdner Theaterprojekte mit.
Am RIFS will er das Vorhaben jetzt noch einmal grundlegender angehen: Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erarbeitet er die Grundzüge geeigneter Darstellungsmittel und Formate, die Komplexität verständlich und erlebbar machen. Die entstehende „Toolbox“ testet er dann mit Schauspielerinnen und Schauspielern. Diese Experimente können als Grundlage für ein größeres Projekt dienen, das mit einem Theater als Partnerinstitution realisiert wird. Zudem will Rausch die beteiligten Forschenden damit inspirieren, ihre Arbeit mithilfe der neuen Tools zu kommunizieren.