Die Lebensmittelproduktion steht vor einem Dilemma: Erschwingliche Preise lassen sich bei wachsender Weltbevölkerung immer schwerer mit Umweltschutz und Tierwohl vereinbaren. Technologische Innovationen bieten Auswege: Biotechnologisch gewonnene Proteine, effiziente Food Factories, Smart Farming, KI-gestützte Prognosen über Angebot und Nachfrage: Solche Ansätze skizziert der neue acatech IMPULS “Food Tech Made in Germany”. Dem ökologischen und ökonomischen Potenzial stehen massive Hemmnisse in Deutschland und der EU entgegen, konstatiert die Arbeitsgruppe: Food Tech brauche ein ausgewogenes Zusammenspiel von Entwicklungsgeist, Regulierung und gesellschaftlicher Akzeptanz.
Während der Lebensmittelbedarf durch das Bevölkerungswachstum kontinuierlich wächst, schrumpfen gleichzeitig die landwirtschaftlich genutzten Anbauflächen. Geopolitische Spannungen, die Auswirkungen des Klimawandels und Pandemien belasten das Lebensmittelsystem zusätzlich. Neue Technologien schaffen Möglichkeiten, die Lebensmittel-versorgung souverän, resilient und nachhaltig aufzustellen. Das attestiert der acatech IMPULS Food Tech Made in Germany.
Integrierter Technologieeinsatz: Von Nährstoffgewinnung bis zum Upcycling
Präzisionslandwirtschaft reduziert umweltschädliche Düngemittel und Pestizide. Neue Züchtungsmethoden lassen Pflanzen widerstandsfähiger gegen Hitzestress werden. Biotechnologische Verfahren, effiziente Food Factories und Vertical Farming erschaffen effizientere und emissionsarme Wege der Nährstoff- und Lebensmittelproduktion.
Schließlich lässt sich durch zirkuläres Design von Verpackungen und KI-gestützte Prognosen von Angebot, Nachfrage und Lieferketten die Verschwendung von Lebensmitteln und Materialien massiv senken: Technologische Innovationen bieten wertvolle Möglichkeiten für die Lebensmittelsysteme der Zukunft. Doch nur ein ganzheitlicher Ansatz entfesselt sie, indem er globale Verflechtungen berücksichtigt und die gesamte Wertschöpfungskette integriert: angefangen bei der Primärproduktion über die Verarbeitung und industrieller Produktion, Verpackung und Distribution bis hin zum Verbrauch und dem Ausbau einer Kreislaufwirtschaft.
„Wir gehen mit unserer Food-Tech-Arbeitsgruppe neue Wege“, sagt acatech Präsidentin Claudia Eckert. „Die meisten Ansätze konzentrieren sich auf Teilaspekte der Lebensmittelwirtschaft, also auf die klassische Lebensmittelproduktion, auf Logistik, Handel, Verpackungen oder auf die Forschung an alternativen Nährstoffquellen. Wir zeichnen ein Gesamtbild der technologischen Möglichkeiten auf dem Wissensstand aller relevanten Disziplinen. Ich danke der Arbeitsgruppe um Andrea Büttner und Thomas Becker, die so viele Facetten zu einem beeindruckenden Zukunftsbild verbunden haben. Sie zeigen: Die Weltgemeinschaft braucht neue Ansätze, um auch langfristig eine ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Ernährung zu sichern. Deutschland kann dabei eine aktive Rolle übernehmen, wenn Food Tech Made in Germany den nötigen gesellschaftlichen und politischen Rückhalt bekommt.“
Technologietransfer nahtlos gestalten, Skalierbarkeit fördern
Zulassungsverfahren und regulatorische Hürden hemmen in Deutschland und der EU den Transfer von Forschungsergebnissen in den Markt. Co-Herausgeberin und acatech Mitglied Andrea Büttner erklärt: „Food-Tech-Innovationen Made in Germany leiden in einigen Bereichen unter einer überbordenden Bürokratie und mitunter auch unter regulatorischen Absurditäten. Wir haben exzellente Agrar-, Bio- und Lebensmittelwissenschaften und -technologien, fußend auf Chemie-, Material- und Ingenieurwissenschaften. Wir haben außerdem die Enabler in Robotik, Automatisierung und Digitalisierung. Gemeinsam können wir zielgerichtet mit innovativen Industrieunternehmen zusammenarbeiten, wir nutzen dieses enorme Potenzial aber zu wenig.“
„Innovative Lebensmittelhersteller wachsen insbesondere im Ausland, etwa in den USA, Asien und Israel. Food Tech erfordert nicht nur Know-how und Kreativität, sondern auch eine hohe Investitionsbereitschaft. Wenn die Markteinführungen zu kompliziert ist, dann zieht es Innovatoren zunehmend in konkurrierende Ökosysteme, die Lebensmittelprodukte schneller aus der Forschung in die Entwicklung und Anwendung am Markt bringen können. Wir brauchen einen politischen und gesellschaftlichen Dialog, um hierzulande Vorsorgeprinzip, Verbraucherschutz und Innovationsoffenheit ins Gleichgewicht zu bringen“, so Thomas Becker, Co-Herausgeber des Impulses und acatech Mitglied.
Auch für Wohlergehen und Wohlstand ist das von entscheidender Bedeutung. Dazu erläutert acatech Vizepräsident Stefan Oschmann: „Technologische Innovationen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg sind der Schlüssel zu Nachhaltigkeit, Resilienz und Souveränität in der Lebensmittelproduktion. Gerade Deutschland kann seine Stärken in der biotechnologischen Forschung aber auch im Maschinen- und Anlagenbau kombinieren und Food Tech Made in Germany zu einer echten Wachstumsbranche entwickeln.“
Bedarfe aller Stakeholder integrieren
Der acatech IMPULS Food Tech Made in Germany zeigt: Der hiesige Innovationsstandort hat gute Voraussetzungen, Food Tech zu einer neuen Wachstumsbranche zu entwickeln. Deutschland kann Stärken in der Forschung – beispielsweise in Agrarwissenschaft, Lebensmittel- und Biotechnologie, aber auch in den Material- und Ingenieurwissenschaften – und im mittelständisch organisierten Maschinen- und Anlagenbau kombinieren.
Dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Neben gesellschaftlicher Unterstützung und guten politischen Rahmenbedingungen kommt es auf eine Vernetzung und fokussierte Stärkung der Forschung und Entwicklung an. Eine langfristig angelegte Initiative oder Institution kann dabei unterstützen, die Forschungs- und Entwicklungsbedarfe zu identifizieren und kontinuierliche Impulse zur praxisgerechten Umsetzung technologischer Innovationen im Lebensmittelsektor zu setzen.

„Uns fehlt bislang die gemeinsame Perspektive und sorgfältige Herausarbeitung der wahren Notwendigkeiten – gerade unter Betrachtung von Szenarien, geopolitischen Entwicklungen und möglichen kritischen Situationen. Wir tun uns extrem schwer, Dinge in Betracht zu ziehen, für die sich andere Staaten bereits entsprechend aufstellen. Solche möglichen Szenarien müssen sorgsam und kompetent betrachtet werden, und es müssen gemeinsame Ableitungen und strategische Entscheidungen getroffen werden. Das gilt insbesondere für das Zusammenspiel der Wissenschaftsorganisationen mit Mittelstand, Start-ups, KMU – der Gesamtheit der Wirtschaft. Nur so kann, flankiert durch eine entsprechend gut informierte und handlungsbereite Politik, die geforderte wissensbasierte Strategieentwicklung und Neuausrichtung durch stärkere disziplinen- und branchenübergreifende Zusammenarbeit entstehen. Dann gelingt es uns, Food-Tech im Sinne von Mensch und Umwelt in die Anwendung zu bringen und einen prosperierenden Industriezweig aufzubauen. Es geht um unsere Resilienz und Souveränität in diesem kritischen Versorgungsbereich, um die Basis für Gesundheit und Wohlergehen unserer Bevölkerung und für die Sicherheit unseres Staatswesens“, fasst Andrea Büttner zusammen.
