Ein sensorgestütztes Frühwarnsystem für tierischen Stress steht im Fokus einer Ausgründung von ATB-Wissenschaftlern. Zentrales Element ist ein neuartiger Sensor zur Messung der intranasalen Druckdifferenz beim Ein- und Ausatmen. Ein EXIST-Stipendium unterstützt ab dem 1. April 2019 die GründerInnen dabei, ihre innovative Geschäftsidee eines ganzheitlichen Gesundheitsmonitorings in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zur Marktreife weiter zu entwickeln.
Unterstützt durch ein EXIST-Gründerstipendium und begleitendes Mentoring seitens des ATB wagen zwei junge Wissenschaftlerinnen des ATB gemeinsam mit einem Softwareentwickler den Schritt in die Selbständigkeit. Motiviert und inspiriert durch ihre wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich der Milchviehhaltung wollen Saskia Strutzke und Sarah Jahn mit der geplanten Unternehmensgründung ein „System zur automatischen Detektion umfassender Gesundheitsparameter von Nutztieren“ zur Marktreife weiter entwickeln.
Neue Methode, die Atemfrequenzmessung zu automatisieren
Die Idee für ein Messgerät, das die Atemfrequenz bei Milchkühen automatisch, kontinuierlich und zuverlässig misst, hatte Saskia Strutzke im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit zum Thema Tierwohl am ATB entwickelt. „Bislang mussten wir die Atemfrequenz als wichtigen Hitzestressindikator visuell mit der Stoppuhr erfassen“, erinnert sie sich. Daraufhin entwickelte sie eine Methode, die Atemfrequenzmessung zu automatisieren. Zentrales Element des Systems ist ein neuartiger Sensor zur intranasalen Druckdifferenzmessung, der durch eine spezielle Haltevorrichtung an der Nase des Tieres befestigt wird. „Die Anbringung ist unkompliziert und nicht invasiv. Unsere Vorversuche haben gezeigt, dass der Sensor die Tiere in ihrem Verhalten nicht beeinträchtigt“, erklärt Saskia Strutzke.
Der Landwirt erhält per App eine Warnmeldung
Das Sensorsystem erfasst neben der Atemfrequenz auch weitere Stressindikatoren wie das Atemverhalten, nimmt Lautäußerungen und Wiederkauraten auf und detektiert darüber hinaus auch das Tierverhalten. Zudem will das Gründerteam das Spektrum der erfassten Vitalparameter als ergänzende Informationen für das ganzheitliche Gesundheitsmonitoring durch Integration weiterer Sensordaten erweitern. Die Daten werden in einer speziellen Software zusammengeführt und können, anschaulich und übersichtlich aufbereitet, vom Tierhalter über das Smartphone oder Tablet einfach per App abgerufen werden. Informationen zu Stressbelastungen der Herde, beispielsweise Hitzestress, oder zum aktuellen gesundheitlichen Zustand einzelner Tiere, z. B. im Fall einer bevorstehenden Geburt, erreichen den Tierhalter so auch fernab des Hofes. Treten deutliche Abweichungen über einen längeren Zeitraum auf, erhält der Landwirt per App eine Warnmeldung.
„Für Landwirte wird diese Form der Gesundheitsüberwachung das Management deutlich erleichtern“, so Saskia Strutzke. „Sie bekommen damit ein Frühwarnsystem, das meldet, sobald sich physiologische Werte ihrer Tiere in einer kritischen Weise verändern und nicht erst dann, wenn Leistungseinbrüche in Folge von gesundheitlichen Problemen den Produktionsablauf und gar die Wirtschaftlichkeit des Betriebes gefährden.“
Wiederkaurate, Atemfrequenz und Lautäußerung werden zuverlässig gemessen
Ein erster Prototyp, der in der Lage ist, Wiederkaurate, Atemfrequenz und Lautäußerung zuverlässig zu messen, wurde erfolgreich getestet. Das Patent (DE 10 2017 130 454.1) zu „System und Verfahren zur Messung einer Druckdifferenz“ wurde Ende 2017 angemeldet und ist derzeit in Überprüfung. Das ATB ist an der Gemeinschaftserfindung zu 50 % beteiligt. Für ihre innovative Idee eines ganzheitlichen Gesundheitsmonitorings mit Hilfe des neuen Sensorsystems erhielt Saskia Strutzke 2018 den Förderpreis der Agrarwirtschaft. „Diese Auszeichnung und die Resonanz auf den vorgestellten Sensor hat mich darin bestärkt, die Ausgründung anzugehen“, erläutert Saskia Strutzke. „Wir denken da auch an weitere Anwendungsbereiche. Wenn wir das System mit einer tierartspezifischen Haltevorrichtung ausstatten, kann es künftig nicht nur bei Rindern, sondern auch bei Pferden oder selbst bei Hunden zum Einsatz kommen. Gerade der Einsatz bei Pferden zur ganzheitlichen Überwachung, zur Geburtsterminierung oder zu Trainingszwecken ist vorstellbar.“
Die Unternehmensgründung ist für das erste Quartal 2020 geplant
Das EXIST-Stipendium fördert die GründerInnen für die Dauer eines Jahres, um die Gründung des Unternehmens bestmöglich vorzubereiten, d. h. das Produkt weiter zu entwickeln, Marktakzeptanz zu erlangen und einen Businessplan zu erstellen. Das ATB unterstützt die Ausgründung mit Infrastruktur und fachlicher Expertise. Potsdam Transfer, die zentrale Anlaufstelle der Universität Potsdam für Gründungen aus der Wissenschaft, bietet zudem begleitende Unterstützung und Beratung im Rahmen des Gründungsnetzwerks. Die Unternehmensgründung ist für das erste Quartal 2020 geplant.