Studien haben gezeigt, dass chemische Pflanzenschutzmittel, auch Pestizide genannt, in ihrem derzeitigen Einsatz schädliche Wirkung auf Ökosysteme und die biologische Vielfalt haben. Das Insektensterben ist eine Folge davon. Nach Vorgaben der Europäischen Union darf die Anwendung von Pestiziden aber nicht zu einem Rückgang der Biodiversität führen. Um diese Lücke zwischen gesetzlicher Intention und Realität zu schließen, schlagen Wissenschaftler im Rahmen einer aktuellen internationalen Studie unter Beteiligung der Universität Koblenz-Landau eine Überarbeitung des Zulassungsverfahrens für Pflanzenschutzmittel vor.
Die aktuelle Zulassungspraxis von Pflanzenschutzmitteln verfehlt die angestrebten Umweltstandards und trägt zum Verlust von Biodiversität und Insektensterben bei. Deshalb fordert nun eine internationale Expertengruppe Politik und Behörden auf, die reale Situation der Ökosysteme stärker zu berücksichtigen und das Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel anzupassen. Damit soll die Lücke zwischen aktueller gesetzlicher Intention und Realität geschlossen werden. Die Studie „Future pesticide risk assessment – narrowing the gap between intention and reality“ erscheint heute in der Fachzeitschrift „Environmental Sciences Europe“ und formuliert Ideen, wie man vorgegebene Umweltziele erreichen kann, die bisher nicht erzielt werden und die dem Schutz der Artenvielfalt dienen. Dr. Ralf B. Schäfer, Professor für Quantitative Landschaftsökologie am Institut für Umweltwissenschaften Landau der Universität Koblenz-Landau, ist Mitglied der Expertengruppe.
„Das aktuelle Zulassungsverfahren ignoriert weitestgehend die reale Umweltsituation“
Er berichtet, dass Studien des Instituts für Umweltwissenschaften Landau bereits vor fünf Jahren darauf hingewiesen haben, dass das Zulassungsverfahren überarbeitet werden müsste, weil es Flüsse und Seen nicht ausreichend schütze. „Das aktuelle Zulassungsverfahren ignoriert weiterhin weitestgehend die reale Umweltsituation“, beklagt Professor Dr. Schäfer. Da seien die EFSA European Food Safety Authority und die Europäische Kommission in der Pflicht, etwas zu verändern und die unterschiedliche Empfindlichkeit der in den verschiedenen Ökosystemen vorkommenden Organismen in den Zulassungsverfahren stärker zu berücksichtigen. Außerdem würden weitere Umweltbedingungen die Empfindlichkeit gegenüber Pflanzenschutzmitteln beeinflussen. Dazu zählt Schäfer etwa das Klima, die Entfernung zu anderen Lebensräumen und das Vorhandensein weiterer Stressoren wie zum Beispiel überhöhte Nährstoffeinträge oder klimatische Extremereignisse. „In der landwirtschaftlichen Praxis werden deshalb meist mehrere Pestizide in Form von Tankmischungen und Spritzserien auf die Felder gebracht, was dazu führt, dass Organismen in der Regel gegenüber Mischungen exponiert sind.“
Auch dieser Aspekt wird laut der Expertengruppe derzeit unzureichend geprüft. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen daher, bei der Risikobewertung die landwirtschaftliche Praxis und die reale Umweltsituation stärker zu berücksichtigen, und schlagen eine Reihe von Anpassungsmaßnahmen vor. So sollte man in einem ersten Schritt strengere Sicherheitsfaktoren im Zulassungsverfahren verwenden, darüber hinaus Kosten und Nutzen von neuen Produkten bei der Zulassung berücksichtigen und auch prüfen, ob es zum Beispiel schon umweltschonendere Alternativen auf dem Markt gibt. Mittelfristig müsste das aktuelle Zulassungsverfahren jedoch durch eine beschränkte Zulassung ersetzt werden, bei der die Umweltauswirkungen in ausgewählten Gebieten unter realen Anwendungsbedingungen untersucht werden. „Solch eine Überwachung könnte auf den verschiedenen Programmen der aktuellen Umweltüberwachung aufbauen“, betont Professor Dr. Schäfer.
Langfristig mahnen die Wissenschaftler eine Harmonisierung der unterschiedlichen Regelwerke bezüglich Gewässerschutz, Pflanzenschutzmittelzulassung und Naturschutz an. Dabei könnten regionale Managementsysteme eingeführt und zum Beispiel Obergrenzen für die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln in räumlichen Einheiten definiert werden. Schäfer: „Damit kann die intensive Nutzung durch weitere Flächen ohne Pflanzenschutzmitteleinsatz ausgeglichen werden. Dies sollte insgesamt jedoch unter Einbezug aller relevanten gesellschaftlichen Interessengruppen entschieden werden.“