Deutschland ist einer der wichtigsten Märkte für den Güterverkehr per Schiff. Hinzu kommt eine wachsende, aber kaum regulierte Freizeitschifffahrt. Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben erforscht, wie sich dieser Schiffs- und Bootsverkehr auf die Fischgemeinschaften in sechs großen europäischen Flüssen auswirkt. Sie analysierten dafür fast 400 Befischungen an 88 verschiedenen Stellen. Das Ergebnis: Starker Schiffsverkehr verringert die Anzahl an Fischen deutlich. Die Forscher empfehlen, diese Ergebnisse auch im Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“ zu berücksichtigen.
Deutschland ist mit rund 7.500 Kilometern an Wasserstraßen einer der wichtigsten europäischen Standorte für die Binnenschifffahrt. Auf zu Wasserstraßen ausgebauten Flüssen und Seen fahren neben Transportschiffen auch Sportboote und Personenschiffe. Der Markt für die Freizeit -und Erholungsschifffahrt wächst stetig. Ein weiterer Trend geht zu stärkeren Motorisierungen und höheren Transportkapazitäten.
Blaues Band fördert Wassertourismus und gefährdet dabei Fischpopulationen:
Im Rahmen des Bundesprogramms Blaues Band Deutschland, sollen Schifffahrtsstraßen von geringer verkehrlicher Bedeutung ökologisch aufgewertet und parallel auch verstärkt touristisch entwickelt werden. Bis spätestens 2050 sollen diese Wasserstraßen einerseits europäische Umweltziele erfüllen und andererseits die regionale Wirtschaft stärken – auch durch eine Förderung des Wassertourismus auf diesen Gewässern. Die ökologischen Auswirkungen eines regen Schiffs- und Bootsverkehrs auf Fischgemeinschaften in diesen Flüssen waren bisher jedoch eher unzureichend erforscht.
Wissenschaftler des IGB haben deshalb untersucht, wie sich der Schiffsverkehr auf unterschiedliche Fischgemeinschaften in sechs großen europäischen Flüssen auswirkt. Sie analysierten insgesamt fast 400 Probebefischungen an 88 Stellen. Mit Hilfe mathematischer Modelle arbeiteten sie heraus, wie stark Fischgemeinschaften abhängig vom Schiffstyp (Frachtschiff, Passagierdampfer oder Sportboot) oder abhängig von Schiffsfrequenz, transportierter Fracht, Schiffsgröße oder Anzahl der Leerfahrten beeinflusst und gefährdet werden.
Viel zu wenige Fischarten im Rhein – auch eine Folge des Schiffsverkehrs:
Der Rhein ist der am meisten befahrene Fluss der Welt. Er trägt rund zwei Drittel der in Europa mit Schiffen transportierten Frachtmenge, nämlich 200 Millionen Tonnen Güter pro Jahr. Täglich fahren hier 264 Frachtschiffe. Zum Vergleich: Auf der Oder fahren im Durchschnitt nur 15 Frachtschiffe pro Tag, die insgesamt 500.000 Tonnen Güter pro Jahr transportieren.
„Der Unterschied im Schiffsverkehr schlägt sich auf die Artenvielfalt nieder. Unsere Analysen bestätigten für den Rhein unterdurchschnittlich wenige Fischarten, für die Oder dagegen überdurchschnittlich viele“, erläutert der Erstautor der Studie, Dr. Petr Zajicek, die Ergebnisse.
Frachtschiffe schaden vor allem durch ihren Tiefgang, Freizeitboote durch starke Sekundärwellen:
Frachtschiffe mit voller Ladung haben den größten Tiefgang und damit potenziell einen besonders negativen Einfluss auf die Artenvielfalt in einem Fluss. Je schneller sie fahren, desto stärker wirken die physikalischen Kräfte einer Vorbeifahrt: Bug- und Heckwellen führen zu „Absunk“ und Rückströmung.
Beides zusammen beeinträchtigt Fische und andere Wasserlebewesen in ihren Lebensräumen. Passagierdampfer und Sportboote haben spezifische ökologische Wirkungen: Diese Bootstypen fahren im Vergleich zu Frachtschiffen besonders schnell und erzeugen dadurch starke Sekundärwellen, die sich nahezu ungebremst im Gewässer ausbreiten und die Fischgemeinschaft noch in weit entfernten Uferzonen schädigen können. Alle Schiffstypen führen dazu, dass die Anzahl der Fische mit zunehmender Schiffsfrequenz sinkt. Dieser Effekt lässt sich beispielsweise bereits ab einer durchschnittlichen Vorbeifahrt von acht Frachtschiffen pro Tag nachweisen. Besonders empfindlich reagieren Fischarten, die auf Kies-Laichplätze und flache Uferzonen angewiesen sind.
Studienleiter und IGB-Forscher Dr. Christian Wolter kommentiert die Ergebnisse der Studie im Hinblick auf das Bundesprogramm Blaues Band Deutschland: „Ohne die Revitalisierung flusstypischer Lebensräume wird die geplante touristische Entwicklung der Nebenwasserstraßen den Biodiversitätsverlust in unseren Flüssen eher beschleunigen als stoppen. Deshalb sollten nicht Wachstumserwartungen neuer Nutzungen, sondern ökologische Entwicklungspotenziale die Zielsetzungen künftiger Entwicklungsprogramme wie die des Blauen Bandes bestimmen. Eine ökologisch intakte, artenreiche und vielfältige Flusslandschaft wird mit Sicherheit neue und nachhaltige Nutzungspotenziale erschließen.“