In der Ostsee stehen Dorsch- und Heringsbestände aktuell vor dem Kollaps. An der Nordsee haben sich einige Arten zwar jüngst erholt, die Fischerei gerät aber durch Windparks, Öl- und Gasgewinnung zunehmend unter Druck. Und im Humboldtstrom vor der Küste Südamerikas könnte der Klimawandel womöglich die Sardellenpopulation und das produktivste Fanggebiet weltweit aus dem Gleichgewicht bringen. „Rutscht der Fischbestand unter eine kritische Stückzahl, ist es extrem schwierig und langwierig, die Zahlen wieder hochzubringen“, warnt Prof. Christian Möllmann vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg.
„Unser Ziel ist es, Zusammenhänge zwischen Ökologie und Ökonomie aufzuzeigen – in einem veränderten Klima und mit Blick auf eine intelligente Nutzung durch die Gesellschaft“, so Möllmann. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten dafür mit aufwändigen Rechenmodellen: Bestandszahlen, Fangquoten, Klimadaten, Informationen zur Biologie der Arten, Preise und Wirtschaftsdaten werden kombiniert, um Prognosen zu erstellen und verschiedene Zukunftsszenarien zu prüfen.
Möllmann ist einer der leitenden Wissenschaftler im Nordsee-Projekt „SeaUseTip“. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen sucht er nach möglichen Kipppunkten im System – und wie sie sich durch geschicktes Management vermeiden lassen: „Die meisten Bestände kommen an ihre Grenzen, wenn mehrere Stressfaktoren zusammenkommen – also etwa hohe Fangquoten, knappe Nahrung plus die Folgen des Klimawandels.“ Wirtschaftlichkeit und gesellschaftliche Interessen spielen für die Zukunft der marinen Ökosysteme eine wichtige Rolle – und werden in allen drei Projekten mit untersucht: Beteiligt sind neben Universitäten und Forschungsinstituten auch örtliche Fischereiverbände, die Industrie und NGOs. Ihnen geht es darum, die lokalen Lebensgrundlagen zu sichern, Risiken für Wirtschaft, Export und globale Märkte abzuschätzen.
Projekt „SeaUseTip“ (gefördert bis 2022, Universität Hamburg: 880.000 EUR)
Weltweit leiden marine Ökosysteme unter den Folgen menschlichen Handelns. Abrupte Veränderungen, sogenannte „Regime Shifts“, werden unter diesem Druck und im Zuge des Klimawandels immer wahrscheinlicher. Fischereibiologen, Küstenforscher und Umweltökonomen untersuchen die deutsche Nordsee und mögliche Kipppunkte. Wie verletzlich und wie anpassungsfähig ist das komplexe Artengefüge und wie könnte eine schonendere Nutzung aussehen? Ziel ist, praktische Werkzeuge für ein umweltverträgliches Management zu entwickeln.
Beteiligte Institutionen: Thünen-Institut für Seefischerei Bremerhaven, Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Institut für Küstenforschung, Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg
Projekt „marEEshift“ (gefördert bis 2022, Universität Hamburg: 650.000 EUR)
Hering und Dorsch sind die wichtigsten Speisefischarten der westlichen Ostsee – und in ihrer Existenz extrem bedroht. 2016 musste die kommerzielle Fangquote für Dorsch um mehr als 50 Prozent gekürzt werden. Erstmals wurde außerdem ein so genanntes „daily bag-limit“ für private Angler eingeführt. Ziel des Projektes ist es, Schlüsselfaktoren zu identifizieren und zu prüfen, wie robust das Ökosystem noch ist. Zentrale These: Kurskorrekturen und gezieltes Fischereimanagement bewirken einen Regime Shift in Richtung Nachhaltigkeit.
Beteiligte Institutionen: Universität Leipzig, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), Universität Hamburg (CEN), Thünen-Institut für Ostseefischerei, Universität Freiburg, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Berlin
Projekt „Humboldt-Tipping“ (gefördert bis 2022, Universität Hamburg: 290.000 EUR)
Im Humboldtstrom vor der Westküste Südamerikas werden bisher jedes Jahr gigantische neun Millionen Tonnen Fisch gefangen. Gleichzeitig werden in der Region Wale und Seevögel und ein funktionierendes Ökosystem für den zunehmenden Tourismus wichtiger. Die Produktivität des Gebietes ist jedoch extrem variabel und zusätzlich könnte der Klimawandel die Meeresströmung und die Nährstoffzufuhr verändern.
Wie wirkt sich dies z.B. auf die Sardellenfischerei aus – und bedeutet ein Rückgang einen unwiderruflichen Kipppunkt? Gesucht wird nach Anpassungsmöglichkeiten, die helfen, lokale Lebensgrundlagen zu sichern, wirtschaftliche Risiken zu verringern und Küstengemeinden widerstandsfähiger zu machen.