Das Land und seine Dörfer brauchen Menschen und Ideen, um langfristig zu überleben. Wie könnte das gelingen? Teil 2 des Linde-Interviews mit dem Vordenker der „Neuen Ländlichkeit“, Dr. Wolf Schmidt.
Die Linde: Wenn man Stadt und Land unter dem Gesichtspunkt Biodiversiät betrachtet, sieht es heute so aus, dass Vielfalt eher in der Stadt als auf dem Land zu finden ist.
Wolf Schmidt: Ich bin noch unsicher, ob dieser Befund mit der Biodiversität zutrifft. Ich glaube, das ist eine gewisse Zuspitzung. Ich würde das nicht komplett unterschreiben. Ich glaube, wir werden zu diesem Thema mehr Konflikte in den ländlichen Räumen kriegen. Sie können die im Moment am Thema Glyphosat festmachen. Über die Frage, ob Glyphosat krebserregend ist oder nicht, kann man sich lange streiten. Dass Glyphosat die Biodiversität killt, das ist ja das Ziel von Glyphosat . Ich würde die politischen Konflikte weniger am Thema Biodiversität festmachen, sondern an einer Raumordnungspolitik, die einem städtischen Effizienzblick unterliegt: Was brauchen wir eigentlich noch diese kleinen Gehöfte? Wenn sie durch dieses Land Mecklenburg Vorpommern fahren, kommen Sie durch viele Ort, die „Ausbau“ heißen. Das sind Siedlungen, die mit der Bodenreform 1945 entstanden sind. Man hat außerhalb der Ortschaften Einzellagen geschaffen hat. Diese Ausbausiedlungen will man eigentlich alle schleifen, weil man sagt, wir müssen da Wasser und Strom hinlegen, wir müssen die Müllabfuhr organisieren, das wollen wir nicht, das kostet alles unser Geld. Je weniger Dörfer wir haben, umso effektiver ist das aus so einer Sicht heraus. Und dagegen gibt es einen wachsenden Widerstand, weil es ja auch Vorschriften zu einer bestimmten Lebensweise macht. Das muss in einer geschlossenen Ortschaft sein.
Was heißt das für die Dörfer?
Wolf Schmidt: Wir haben zum Beispiel in diesem Land kleine Dörfer, die wachsen könnten. Die sind aber so genanntes Außengebiet. Da darf man keine Baugenehmigung erteilen. Da sind ganze Familien, die da hin ziehen würden. Die können da nicht hin ziehen, weil sie nicht bauen dürfen. Da gibt es ganz viele Konfliktlinien. Deshalb ist es so wichtig, ein neues Bewusstsein zu schaffen für die Menschen, die auf dem Dorf leben.
Was kann oder muss Politik tun?
Wenn Sie in die Kataloge „Förderung ländlicher Räume“ gucken, landen Sie bei Investitionen in landwirtschaftliche Betriebe. Die Landwirtschaftsverbände sagen: Ländliche Räume, das sind wir. Wir brauchen mehr Unterstützung. Die anderen Akteure haben sich noch nicht gefunden. In Wirklichkeit können Sie ländliche Räume nicht mit Agrarförderung unterstützen. Zugespitzt formuliert: unter sozialen Aspekten ist jede Agrarförderung gegen die Gesellschaft des ländlichen Raums gerichtet. Der ländliche Raum artikuliert sich noch nicht, aber ich glaube, er hat ein wachsendes Potential. Denn in dem Maße, wie Menschen aus der Stadt mit einer anderen Sozialisierung , von demokratischer Partizipation , von Bespielung von Medien aufs Land ziehen, umso mehr wird es Leute geben, die sagen, so lassen wir nicht mit uns herumspringen. Wir haben eine andere Version vom Leben, die wir auch politisch zur Geltung bringen.
Die agrarischen Flächen werden nicht mehr aus dem Dorf heraus bewirtschaftet. Das sind heute häufig Kapitalgesellschaften, die die ländlichen Gebiete besitzen. Andererseits – das schreiben sie auch in Ihrem Buch[1] – gibt es so etwas wie die Rückkehr des Adels.
Wolf Schmidt: Wir haben heute auf der Tagung[2] gehört: Wenn man eine Stadt voranbringen will, muss man sie lieben. Beim Adel gibt es ein Interesse am Investment, und das ist ja in gewissem Umfang auch legitim, es gibt aber auch eine Bindung. Wer sagt, dass meine Familie hier seit 500 oder 70 Jahren ansässig ist, der macht sich auch Gedanken darüber, wie wird das hier vielleicht in 50 Jahren aussehen und was ist dafür das angemessene Konzept? Deshalb glaube ich, dass es eine Bereicherung für das Land ist, wenn Menschen hierher kommen, die emotional mit dem Land verbunden sind. Gleichzeitig sehe ich natürlich auch ein Risiko einer Refeudalisierung. Deshalb finde ich so wichtig, dass wir einen Zuzug aus städtischen Milieus haben.
Diesen Prozess bezeichnen Sie als positive Gentrifizierung. Was verstehen sie darunter?
Wolf Schmidt: Wir kennen Gentrifizierungsprozesse aus Hamburg St. Georg, Frankfurter Westend oder Prenzlauer Berg in Berlin. Wir wissen, dass so etwas vorbereitet wird von Künstlern, Studenten und Lebenskünstlern und in der Zwischenzeit haben die Versicherungen die Immobilien aufgekauft, vergraulen die anderen und schaffen da ihr teures Biedermeier. Diesen Verdrängungsprozess sehe ich nicht auf den Dörfern. Ich sehe, dass es da eine Menge Immobilien gibt, Herrenhausimmobilien, Gutshofimmobilien, die darauf warten wachgeküsst zu werden. Für die haben die Einheimischen nicht die finanziellen Ressourcen und nicht die Nerven. Wenn hier das städtische Milieu ein stärkeres Gewicht bekommt, dann schafft das auch eine Balance zu dem Gewicht, das sonst durch den Adel entstehen könnte.
Das neue Dorf aus Ostdeutschland, wie Sie es beschreiben, ist das auch ein Modell für die Rettung der niedergehenden Dörfer in Westdeutschland? Also weg von den bäuerlichen Strukturen hin zu einer Neuerfindung?
Wolf Schmidt: Ich glaube, dass im Westen die Prozesse ein wenig anders laufen. Das gibt es verschiedene Gründe. Der eine Grund ist, dass wir im Westen andere agrarische Strukturen, also einen höheren Anteil an bäuerlichen Betrieben als im Osten haben. Wir haben eine längere Durchdringung mit Gewerbe und Industrie als im Osten. Wir haben im Osten ein Dörfer, wo eigentlich nur riesige Ackerflächen verwaltet werden. Ansonsten gibt es keine Erwerbsmöglichkeit, also es gibt keinen Arbeitgeber für irgendwas. Das findet man so im Westen nicht. Manches ist im Osten leichter, manches im Westen. Im Westen habe ich andere Vermögensausstattung. Wenn ich hier im Osten mich umsehe auf dem Dorf, da haben die Leute vielleicht ihr Grundstück und ihr Häuschen.Aber wenn Sie auf deren Konto gucken, das ist alles Zum Weinen. Im Westen hat der Bauer immer mal Bauland verkauft und so seinen Betrieb über die Zeiten gerettet und ein bisschen Vermögen angesammelt, das haben Sie hier im Osten nicht. Dass aber immer weniger Arbeitskräfte auf dem Lande gebraucht werden, das ist in Westdeutschland und Ostdeutschland gleich.
[1] Wolf Schmidt. Luxus Landleben. Neue Ländlichkeit am Beispiel Mecklenburgs. Herausgeber: Mecklenburger AnStiftung. http://www.anstiftung-mv.de/
[2] http://www.b-b-e.de/veranstaltungsarchiv0/2-fachwerktstatt-zusammenleben-vor-ort-gemeinsam-demokratisch-engagiert/