Eine zentrale Aufgabe in der Botanik ist die Erforschung der pflanzlichen Mechanismen, die an der Regulierung des Blütezeitpunkts beteiligt sind. Sämtliche Pflanzen durchlaufen am Übergang von der Wachstums- zur Fortpflanzungsphase eine Blüte. Dieser Zeitpunkt ist zum Beispiel für die Anpassungsfähigkeit der Pflanzen an veränderte Umweltbedingungen relevant, insbesondere im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Auch für den Ackerbau ist der Blütezeitpunkt von großer Bedeutung, da er Erntezeiten und Höhe der Erträge mitbestimmt.
Daher sind die zugrundeliegenden Prozesse auch für die Züchtung von Nutzpflanzen von höchstem Interesse. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit arbeiten intensiv daran, alle an der Steuerung des Blütezeitpunkts beteiligten Komponenten zu ergründen. Ein Forschungsteam vom Botanischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat nun einen bisher unbekannten Baustein dieser Regulation charakterisiert:
Zusammenhang zwischen einem bestimmten Protein und dem Blütezeitpunkt
Am Beispiel der Modellpflanze Arabidopsis thaliana haben die Forschenden aus der Abteilung für Botanische Genetik und Molekularbiologie einen Zusammenhang zwischen einem bestimmten Protein und dem Blütezeitpunkt identifiziert. Dieses sogenannte Poco1-Protein kommt in einem pflanzlichen Zellorganell, den Mitochondrien vor, deren Rolle in der Blütezeitregulation bisher wenig untersucht wurde. Die CAU-Forschenden zeigten, dass durch das Ausschalten des für das Protein verantwortlichen Gens der Blütezeitpunkt signifikant früher stattfindet. Die durch Poco1 beeinflusste Regulation steht zudem möglicherweise im Zusammenhang mit ungünstigen Umweltbedingungen.
Eine Gleichung mit vielen Variablen
Wann eine Pflanze von der sogenannten vegetativen in die reproduktive Phase übergeht und zu blühen beginnt, ist vor allem durch verschiedene, miteinander verknüpfte genetische Pfade reguliert. Auch äußere Einflüsse wie Tageslänge oder Temperaturen beeinflussen den Beginn der Blüte. Um die Rolle des Poco1-Proteins in diesem Zusammenspiel zu untersuchen, inaktivierten die Kieler Forschenden das dafür verantwortliche Arabidopsis-Gen. Die so veränderten Pflanzen blühten unabhängig von den Umweltbedingungen durchschnittlich fünf Tage früher als der Wildtyp.
Um zu bestätigen, dass dieser Effekt auf die Regulation der Blütezeit tatsächlich auf das Protein zurückzuführen ist, unternahm das Forschungsteam eine Reihe weiterer Tests. „Wir haben mit den veränderten Versuchspflanzen einen sogenannten genetischen Komplementationstest durchgeführt“, erklärt Hossein Emami, Doktorand in der Abteilung für Botanische Genetik und Molekularbiologie.
„Daraufhin blühten die Pflanzen wieder zum normalen Blütezeitpunkt und wir erhielten einen weiteren Hinweis, dass die ursprüngliche Veränderung auf das Poco1-Protein zurückzuführen ist“, so Emami weiter.
Auch der Vergleich des Wurzelwachstums deutet in diese Richtung: Während beim Arabidopsis-Wildtypus ein bestimmter Steuerungsmechanismus das Längenwachstum der Wurzeln am Übergang zur reproduktiven Phase stoppt, ist dieser Signalweg bei den poco1-Pflanzen gestört. Weil sie nicht in ausreichendem Maß über die an dieser Regulation beteiligten Stoffe verfügen, zeigen sie im Vergleich deutlich längere Wurzeln.
„Auch an dieser Veränderung gegenüber den Wildpflanzen ist offenbar das Poco1-Protein beteiligt“, betont Emami. „Dadurch, dass es die Signale herunterreguliert, wird einerseits das Wurzelwachstum gefördert und die Hemmung des Blütezeitpunkts abgeschwächt.“
Ungünstige Umweltbedingungen beeinflussen den Blütezeitpunkt
Um diese Zusammenhänge weiter zu analysieren, untersuchte das KPC-Forschungsteam das Zusammenwirken von Mitochondrien und pflanzlichem Zellkern bei der Kontrolle des Blütezeitpunkts. Dazu untersuchten sie zunächst die wichtigsten physiologischen Funktionen der Mitochondrien und stellten fest, dass sie bei den Poco1-Pflanzen deutlich gestört waren. Sie zeigten eine geringere Zellatmung, einen geringeren Energiegehalt und ein höheres Vorkommen von zellschädlichen sogenannten freien Radikalen im Vergleich mit dem Arabidopsis-Wildtypen. Mit diesen physiologischen Abweichungen ist vermutlich ein Signal der Mitochondrien an den pflanzlichen Zellkern verbunden, der den Mechanismus, der einem früheren Blütezeitpunkt unter Stressbedingungen zu Grunde liegt, beeinflusst.
„Ungünstige Umweltbedingungen wie beispielsweise Trockenheit können bewirken, dass Pflanzen früher als normalerweise blühen, um trotzdem ihren Fortpflanzungserfolg sicherzustellen“, betont Professor Frank Kempken, KPC-Mitglied und Leiter der Abteilung für Botanische Genetik und Molekularbiologie. „Wir nehmen daher an, dass Mitochondrien-Proteine wie Poco1 dazu entscheidende Signale liefern und so eine wichtigere Rolle bei der pflanzlichen Anpassung an Umweltstress spielen, als bisher bekannt war“, so Kempken weiter.
Auf dieser Grundlage gelingt es der Pflanzenzüchtung in Zukunft möglicherweise, den Blütezeitpunkt wichtiger Nutzpflanzen so zu regulieren, dass sie auch in drastisch veränderten klimatischen Bedingungen weiterhin gedeihen können.