In einer neuen Studie konnten Forschende der ETH Zürich, der Stanford University und vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam zeigen, dass ein fast zwanzig Jahre altes Paradigma zur Abkühlung der Erde vor der letzten Eiszeit nicht haltbar ist. Demnach hat eine erhöhte „Reaktivität“ der Landoberfläche zu einer entscheidenden Abnahme von CO2 in der Atmosphäre und damit einem Rückgang des natürlichen „Treibhauseffekts“ geführt.
In der Erdgeschichte gab es immer wieder lange Phasen der Abkühlung. So waren die Temperaturen bereits mehr als zehn Millionen Jahre lang gefallen, bevor vor etwa 2,5 Millionen Jahren die letzte Eiszeit einsetzte und die nördliche Hemisphäre mit riesigen Eismassen und Gletschern überzog. Ein seit gut zwanzig Jahren verbreitetes geowissenschaftliches Paradigma erklärt diese Abkühlungsphase mit der Entstehung der großen Gebirge wie Anden, Himalaya und Alpen. In der Folge habe eine beschleunigte Gesteinsverwitterung stattgefunden. Das wiederum habe der Atmosphäre mehr Kohlendioxid (CO2) entzogen, so dass der natürliche „Treibhauseffekt“ abnahm und es kälter wurde. Dieser und weitere Prozesse führten schließlich zur „Eiszeit“.
In einer neuen Studie konnten Jeremy Caves-Rugenstein von der ETH Zürich, Dan Ibarra von der Stanford University und Friedhelm von Blanckenburg vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam nun zeigen, dass dieses Paradigma nicht haltbar ist. Der Studie zufolge war die Verwitterung über den betrachteten Zeitraum konstant. Stattdessen hat eine erhöhte „Reaktivität“ der Landoberfläche zu einer entscheidenden Abnahme von CO2 in der Atmosphäre geführt, so dass sich die Erde abkühlte. Die Ergebnisse haben die Forschenden in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Zweifel nach Isotopenanalyse
Der Prozess der Gesteinsverwitterung, insbesondere der chemischen Verwitterung von Gesteinen bei der Reaktion mit Kohlensäure, regulierte seit Milliarden Jahren das Erdklima. Kohlensäure entsteht aus CO2, wenn sich dieses in Regenwasser löst. Die Verwitterung entzog so der Erdatmosphäre CO2, und zwar genau in dem Maße, in dem es vulkanische Gase der Atmosphäre zuführten. Das bislang verbreitete Paradigma besagt, dass mit der Entstehung der großen Gebirge in den letzten 15 Millionen Jahren Erosionsprozesse zunahmen – und damit auch die CO2-bindende Gesteinsverwitterung. In der Tat zeigen geochemische Messungen in Ozeansedimenten, dass der CO2-Anteil in der Atmosphäre in dieser Phase stark abgenommen hat.
„Die Hypothese hat allerdings auch einen großen Haken“, erklärt Friedhelm von Blanckenburg vom GFZ. „Hätte die Atmosphäre tatsächlich soviel CO2 verloren, wie das die mit der Erosion anwachsende Verwitterung verursacht haben müsste, würde sie in weniger als einer Million Jahren kaum noch über CO2 verfügt haben. Alles Wasser wäre zu Eis gefroren und Leben wäre kaum noch möglich gewesen. Das war aber nicht der Fall.“
Dass diese Zweifel gerechtfertigt sind, zeigten Friedhelm von Blanckenburg und seine Kollegin Jane Willenbring bereits 2010 in einer Studie, die ebenfalls in Nature erschienen ist. „Wir haben damals mittels Messungen des seltenen, durch kosmische Strahlung in der Erdatmosphäre erzeugten Isotops Beryllium-10 und seinem Verhältnis zum stabilen Isotop Beryllium-9 in Ozeansediment gezeigt, dass die Verwitterung der Landoberfläche gar nicht zugenommen hat“, sagt von Blanckenburg.
Landoberfläche wurde reaktionsfreudiger
In der nun veröffentlichten Studie nutzten Caves-Rugenstein, Ibarra und von Blanckenburg zusätzlich die Daten von stabilen Isotopen des Elements Lithium in Ozeansedimenten als Indikator für die Verwitterungsprozesse. So wollten sie herausfinden, wie trotz konstantem Tempo bei der Gesteinsverwitterung die CO2–Menge in der Atmosphäre abgenommen haben könnte. Ihre Daten gaben sie dazu in ein Computermodell des globalen Kohlenstoffzyklus.
Tatsächlich sprechen die Ergebnisse des Modells dafür, dass zwar die Fähigkeit der Landoberfläche zu verwittern zugenommen hat, nicht aber das Tempo, mit der sie verwitterte. Die Forschenden nennen diese Verwitterungsfähigkeit die „Reaktivität“ der Landoberfläche. „Die Reaktivität beschreibt, wie reaktionsfreudig chemische Verbindungen oder Elemente sind“, erklärt Friedhelm von Blanckenburg. Befindet sich mehr unverwittertes und damit reaktionsfreudigeres Gestein an der Oberfläche, kann dieses mit wenig CO2 in der Atmosphäre in Summe ebenso umfangreich chemisch reagieren wie bereits stark verwittertes Gestein das mit viel CO2 täte. Der Rückgang des CO2 in der Atmosphäre, der die Abkühlung verursachte, lässt sich so auch ohne zunehmendes Tempo der Verwitterung erklären.
„Es braucht dann allerdings einen geologischen Prozess, der die Landoberfläche ‚durcharbeitet’ und so ‚reaktiver’ macht“, sagt Friedhelm von Blanckenburg. „Das muss nicht unbedingt die Entstehung großer Gebirge sein. Ebenso könnten tektonische Brüche, eine geringe Zunahme der Erosion oder die Freilegung anderer Gesteinstypen dafür gesorgt haben, dass mehr verwitterungsfähiges Material an die Oberfläche tritt. Unsere neue Hypothese muss jedenfalls ein geologisches Umdenken die Abkühlung vor der letzten Eiszeit betreffend auslösen.“