Kann das Konzept der Resilienz (Widerstands- und Anpassungsfähigkeit) erklären, warum sich einige Dörfer besser als andere dem Wandel anpassen und trotz widriger Umstände positiv entwickeln? Was bedeutet es, ein resilientes Dorf zu sein, welche Eigenschaften hat es als solches und wie können diese gefördert werden? Diesen Fragen widmet sich Alistair Adam-Hernández in seiner Doktorarbeit und hat sich insbesondere mit drei Dörfern beschäftigt: mit dem norddeutschen Oberndorf an der Oste im Landkreis Cuxhaven, mit Wooler in der englischen Grafschaft Northumberland und mit Albarracín in der nordöstlichen spanischen Provinz Teruel. Ein erster Anhaltspunkt, was diese Dörfer widerstandsfähig macht: Sie realisieren Projekte höchster Komplexität, nutzen die Kompetenzen der Bürger/innen, haben unternehmerische Ansätze und gehen Risiken ein. Alistair Adam-Hernández ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HAWK, seine Promotionsstelle wird aus dem niedersächsischen Forschungsprogramm „Forschungsperspektive FH“ gefördert.
Resilienz-Forschung ist in Psychologie und Sozialökologie stark verankert
Betreut wird seine Doktorarbeit von apl. Prof. Dr. Karl Martin Born von der Universität Vechta und Prof. Dr. Ulrich Harteisen von der Göttinger HAWK-Fakultät Ressourcenmanagement, der hier die „Forschungsgruppe Ländliche Räume und Dorfentwicklung“ leitet. Die Resilienz-Forschung ist traditionell in Disziplinen wie Psychologie und Sozialökologie stark verankert. Alistair Adam-Hernández hat aus den bestehenden Erkenntnissen aus diesen Disziplinen sowie aus der eher englischsprachigen Gemeinwesenentwicklung (Community Development) sein ganz eigenes Modell für Resilienz im Dorf entworfen.. Aus seiner Sicht ist Resilienz der erfolgreiche Umgang mit einer Störung. In Bezug auf eine Dorfgemeinschaft bedeute das, dass eine schwierige Situation zunächst einmal als solche erkannt und analysiert und dass über das eigene Leben und die Zukunft im Ort nachgedacht und dann gehandelt werde.
„Es geht darum, ob ein Ort als lebendig, dynamisch und aktiv von innen und außen gesehen wird“
„Mich interessiert an der Resilienz eine gewisse ‚Perspektive des Alltags‘“, sagt Adam-Hernández, „es geht darum, ob ein Ort als lebendig, dynamisch und aktiv von innen und außen wahrgenommen wird. Mein Thema ist nicht, die Widerstandsfähigkeit beispielsweise gegenüber Umweltkatastrophen festzustellen, es geht auch nicht darum, einen Ort beispielsweise während und nach dem Aus eines großen Arbeitgebers vor Ort zu betrachten. Ich habe mit Oberndorf, Wooler und Albarracín praktische Beispiele ausgesucht, die nachweislich Strukturen, Organisationen und Maßnahmen oder Projekte aufweisen, mit denen die Dorfgemeinschaft versucht, die Wandelprozesse aktiv zu steuern und zu gestalten.“
„Eine Vision für nachhaltige und zukunftsfähige ländliche Räume in Europa ist das Ziel“, schreibt Adam-Hernández
Die internationalen Kollegen von Adam-Hernández haben unter anderem ihre Untersuchungen vorgestellt, zum Beispiel einen Vergleich der beiden Alpengemeinden Obergurgl und Vent in Österreich oder die Wahrnehmungen von Resilienz durch Jugendliche in den beiden irischen Gemeinden Duhallow und Lee Valley.
Ähnliche Problemstellung der untersuchten Dörfer
Weitere Beispiele waren die griechische Insel Amorgos, die sich erfolgreich gegen eine Windenergieplanung stemmte oder die Situation in drei von der Baumwollproduktion abhängigen Gemeinden in Australien. Alistair Adam-Hernández hat in Trondheim auch „seine“ Dörfer Oberndorf, Wooler und Albarracín präsentiert. Was diese Dörfer gemeinsam haben? Alle drei liegen an der Peripherie und haben mit Problemen wie Strukturschwäche, demografischem Wandel, nämlich der Abwanderung junger Menschen und Überalterung, ihrer Distanz zu den Oberzentren und der Erhaltung von Arbeitsplätzen zu kämpfen.
„Kollektive Koalitionen für Veränderung“
In allen drei Dörfern gibt es Organisationen, die die Dorfentwicklung aktiv betreiben und die Attraktivität – möglicherweise auch die Resilienz – des Ortes trotz aller Widrigkeiten aufrechterhalten. Alistair Adam-Hernández nennt dies „kollektive Koalitionen für Veränderung“ in verschiedenen Formen. Auch der unternehmerische Ansatz dieser Organisationen und Menschen sticht heraus. Die Aktiven schätzen das Risiko und gehen es auch ein – entsprechend sind sie handlungsfähig. Die Koalitionen realisieren Projekte höchster Komplexität und ziehen für eine erfolgreiche Umsetzung die Kompetenzen der Bürgerinnen und Bürger heran, was durch formelle Aufnahme in die Organisation, extern auf Honorarbasis oder, viel verbreiteter, durch ehrenamtliche Tätigkeiten geschieht. Diese Orte sind besonders erfolgreich, weil dort Personen aktiv rekrutiert werden, die irgendwie zu den Gemeinschaftsprojekten beitragen können.
Ist die Entwicklung andernorts zu reproduzieren?
Alle Ortschaften habe eine relativ lange Geschichte der Entwicklung hinter sich: das spanische Albarracín seit Ende der 1980er Jahre, das englische Wooler seit Mitte der 1990er und das deutsche Oberndorf seit 2010. „Die einzigartige Organisationsfähigkeit dieser Untersuchungsorte ist also nicht von heute auf morgen entstanden“, sagt Adam-Hernández und betont, „also können wir von der Organisationsform, von der Zusammenarbeit, im Endeffekt den Charakteristiken der Orte lernen, aber wir können nicht erwarten, dass andere Orte nach einem kurzen ‚Resilienz-Training‘ schnell ‚fit gemacht‘ werden können.“
Zu den Hintergründen der Untersuchung: Warum Oberndorf?
Auf Oberndorf an der Oste ist Alistair Adam-Hernández durch den Dokumentarfilm von Antje Hubert „Von Bananenbäumen träumen“ aufmerksam geworden, der einen Teil des Dorfentwicklungsprozesses dokumentiert und auf Einzelheiten wie die Schulschließung, die Planung eines Kreislaufwirtschaftsprojektes mit Biogasanlage und eine Fischzucht eingeht.
Oberndorf hat ca. 1450 Einwohner, liegt in der Samtgemeinde Land Hadeln im Landkreis Cuxhaven. Es hat eine Reihe von Vereinen, was bereits eine hohe Dichte klassischer Engagement-Strukturen darstellt.Darüber hinaus beeindruckte ihn der Ort durch eine offenbar besondere Organisationsfähigkeit, verbunden mit einer sehr fortschrittlichen Orientierung: Dort gibt es eine Energiegenossenschaft, eine Kulturkneipe, eine Freie Schule oder das Oberndorfer Forum. Verantwortlich dafür ist ein Kreis von Aktiven, die eine außerordentliche Offenheit für Ideen und eine große Bereitschaft besitzen, sich mit den „Herausforderungen“ auf kreative Weise auseinanderzusetzen. Die Zusammenarbeit von alteingesessenen Oberndorfern und auch Personen, die vor sehr kurzer Zeit zugezogen sind, ist nach Ansicht des Doktoranden besonders wirksam. Die Kommunikationsplattform „Forum“ und die „Schlüsselpersonen“ bringen alle zusammen und bilden einen Pool an menschlichen Ressourcen, der dann gezielt aktiviert wird.
Oder Wooler in der englischen Grafschaft Northumberland?
„Auf Wooler bin ich durch ein Gespräch auf einer Tagung mit Prof. Dr. Mark Shucksmith, einem britischen ‚Papst‘ der ländlichen Entwicklung gekommen. Er fragte, ob ich die Marktgemeinde Wooler mit rund 2000 Einwohner/inne/n im Nordosten Englands kenne und es ist zufällig der Ort, in dem meine englischen Großeltern ihren Lebensabend verbracht hatten“, erzählt Adam-Hernández. Dort gibt es eine Organisation namens Glendale Gateway Trust – eine gGmbH mit dem Status einer
Wohltätigkeitsorganisation, die mehr oder weniger als Dorfentwicklungsagentur von Wooler und den Dörfern der Umgebung fungiert. Um diese Organisation herum finden jede Menge ehrenamtliche Aktivitäten statt, die für das Wohlergehen von Jugendlichen, Senioren, Zugezogenen, Kirchen und anderen wichtig sind. Darüber hinaus betreibt die Organisation mit einem professionellen, selbstfinanzierten Team das Dorfgemeinschaftszentrum mit Polizeistation, Bibliothek, Tourist Info, Veranstaltungsräumen, Büros, Bildungsaula und Coworking Space. Außerdem hat die Organisation im Laufe der Jahre Wohnimmobilien eingeworben, renoviert und äquivalent zum „sozialen Wohnungsbau“ der Dorfgemeinschaft angeboten. Hinzu kommen mehrere Geschäfte auf der Hauptstraße, die dann mit günstigen Mieten für die Erhaltung einer attraktiven, kleinen „Einkaufsstraße“ vorgehalten werden.
Auch Albarracín im Nordosten Spaniens ist besonders!
Albarracín mit seinen rund 1050 Einwohner/inne/n liegt im Nordosten Spaniens, in der Provinz Teruel, inmitten des sogenannten „entleerten Spaniens“. Diese extreme Randlage mit einer Bevölkerungsdichte von etwa drei Einwohnern pro Quadratkilometer hat ihr in den Medien den Namen „spanisches Lappland“ gegeben. Auf dieses Dorf sei er durch das Buch eines Fachjournalisten aufmerksam geworden. Albarracín ist von seiner Lage und Architektur her einmalig und extrem attraktiv, eine mittelalterliche Perle, die sich leicht touristisch vermarkten lässt.
Hier steht die 1996 gegründete Stiftung Santa María de Albarracín im Zentrum der Aktivitäten, die aus zwei öffentlichen Bildungswerkstätten zur „Erhaltung des kulturellen und architektonischen Erbes“ entstanden ist.Die Stiftung hat in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung erlebt und konzentriert sich aktuell auf die kulturelle Aktivierung des Dorfes. Dabei nutzt sie die restaurierten und teilweise überlassenen Immobilien in der Stadt für Konzerte, Tagungen und Kongresse, die in erster Linie Besucher/innen bzw. Teilnehmer/innen von außerhalb anziehen. Darüber hinaus hat sie bei der Durchführung von Kursen, Seminaren und Ausstellungen für Malerei und Restaurierung beweglicher Güter internationale Bekanntheit erlangt. All diese Aktivitäten bringen den örtlichen Beherbergungs- und Gastronomiebetrieben Gäste. Die Stiftung unterhält auch ein eigenes Tourismusinformationsbüro, bietet diverse geführte Touren an und unterstützt interessierte Veranstalter/innen bei eigenen Tagungen und Konferenzen in Albarracín. Die Stiftung ist zum Hauptakteur beim Management des Kulturtourismus im Ort geworden. Aus Sicht von Adam-Hernández ist das Dorf Albarracín ein Beispiel für ein sehr institutionelles Modell der Dorfentwicklung, bei dem die Intensität der Bürgerbeteiligung beziehungsweise ihre Bedeutung für die Lebendigkeit des Ortes deutlich niedriger ist als bei den anderen Beispielen.