Welche Regionen sich, auch weit weg von Metropolen, gut entwickeln, ist inzwischen in aller Tiefe untersucht worden. Ein Sammelband mit dem etwas sperrigen Titel „Erfolgreiche metropolferne Regionen“ hebt dabei besonders das niedersächsische Emsland und die Bodenseeregion hervor. Diesen Regionen wird bescheinigt, erfolgreich und innovativ zu sein. Was zeichnet diese Gebiete aus, wo liegen sie und was können wir von ihnen für die Zukunft lernen? Im Auftrag der Wüstenrot Stiftung betreut das Niedersächsische Institut für Historische Regionalforschung das zugrundeliegende Forschungsvorhaben „Erfolgreiche metropolenferne Regionen“.
Analyse von Netzwerken
Die wissenschaftliche Leitung hatten Professor Dr. Rainer Danielzyk, Generalsekretär der Akademie für Raumordnung und Landesplanung Professor Dr. Carl-Hans Hauptmeyer, Emeritus des historischen Seminars der Leibniz Universität Hannover. Das Team hat eine Untersuchung zu den Ursachen der Bandbreite und Heterogenität unterschiedlicher regionaler Entwicklungen durchgeführt. Dazu gehören historische Entwicklungen, politische Entscheidungen, gesellschaftliche, wirtschaftliche und nachbarschaftliche Netzwerke, regionale Kulturen, signifikante Ereignisse und der Einfluss besonderer Persönlichkeiten.
Die Autoren setzten auch handelnde, engagierte Menschen
Die Untersuchung ist ein umfangreiches wissenschaftliches Werk, das sich, schon wegen der Fülle an Informationen nicht auf einen Punkt bringen lässt. Deutlich ist aber, dass die Untersuchung einen engagierten, weltoffenen Menschen, mit starker regionaler Verantwortung in den Vordergrund stellt. Entsprechend heißt es, die Studie sei von Überzeugung geprägt: „, dass regionale, auf kulturellen Traditionen beruhende Kräfte und Werte wie Vertrauen und Solidarität keinesfalls erlahmt sind, sondern ein hohes Zukunftspotential besitzen.“ Und weiter heißt es sehr ermutigend: „Moralische Ökonomie – Gesellschaftliche Zusammenhalt verbunden mit großer Offenheit, wie in diesen beiden Regionen (Emsland und Bodenseekreis) scheinen nicht nur ein ökonomischer Erfolgsgarant zu sein.“[1] Die Autoren setzten auch handelnde, engagierte Menschen und zwischen den Zeilen, kann man vermuten, das die Politik der vergangenen Jahre von den Wissenschaftlern nicht wirklich als brillant empfunden worden ist. Damit stehen die Regionalforscher wahrlich nicht allein dar.
Hinter Deutschland kommen nur noch die Briten
„Wie soll mit abgehängten Regionen umgegangen werden, gefährden sie den innerstaatlichen Zusammenhalt, kann von ihnen sogar die Gefahr einer Destabilisierung der Demokratie ausgehen?“ fragt Prof. Dr. Ulf Hahne.[2] Innerhalb Deutschlands, so zitiert Hahne den jüngsten EU-Kohäsionsbericht, bestünden inzwischen, bezogen auf alle Staaten der europäischen Gemeinschaft, nach dem brexititären Großbritannien, die größten innernationalen Unterschiede zwischen den Regionen. Die reichste Region in Deutschland rund um Ingolstadt erziele ein achtmal höheres Sozialprodukt pro Kopf als die Südwestpfalz, Deutschlands ärmste Region. Dies ist nicht nur ein grundgesetztwidriger Zustand, sondern zeigt auch die zukünftige Anfälligkeit der automobilorientierten Republik.
Mit dem Auto Richtung Abgrund
Andere Automobilregionen erfreuen sich noch ähnlich guter Zahlen. Doch deren totaler Absturz, wenn er heute auch noch politisch weggelächelt wird, ist sicher. Dieser Umstand ist, das Gleichgewicht des Landes im Blick habend, noch dramatischer, da die ohnehin schwierigen Regionen gleichzeitig noch weiter verarmen, wie der OECD- Bericht deutlich macht. Und sie tun dies, „weil ihre wirtschaftlichen Strukturen wegbrechen: Die Zusammenarbeit von Produzenten und Verarbeitung im Bereich Ernährung kommt immer weniger zustande, weil schlicht Betriebe des Lebensmittelhandwerks und des weiterverarbeitenden Lebensmittelgewerbes fehlen, um Wertschöpfungsketten und eigenständige regionale Produkte aufzubauen.“ so Hahne weiter.
Der regionaler Wandel ist anstregend
Der Autor, der an der Universität Kassel am Institut für urbane Entwicklungen arbeitet, seziert in seinem Aufsatz das Versagen der Politik und besonders der Förderinstrumente. Und macht deutlich, dass der Strukturwandel in den abgehängten Regionen nicht allein durch große Investitionen, durch Behördenverlagerungen oder neue Hochschulstandorte gelingen werde , sondern es handele sich vielmehr um einen wirklich langwieriger Prozess, der vieler kleiner Maßnahmen und einer Veränderung des Denkens bedürfe: „Ohne eigene Anstrengungen werden keine längerfristig erfolgreichen Geschichten des Wandels geschrieben. Neben der Überwindung der mentalen Barrieren und der Überschreibung bisher tragender mentaler Konstrukte kommt der Entfaltung vieler neuer Wirtschaftsinitiativen eine tragende Rolle zu. Diese zu unterstützen und regional basierte Strukturen zu entfalten, gehört daher zu den Aufgaben einer neuen Wirtschaftsförderung 4.0, wie sie im Kritischen Agrarbericht 2018 genauer beschrieben wurde.“
Schuldenerlasse für die Kommunen andenken
Nun könnten man meinen, all diese Daten, Kommentare und Einschätzungen seien aus dem Chorus der üblichen finster-pessimistischen Gesellschaftskritiker, aber nicht einmal das stimmt. So ließ das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft wissen: 19 von insgesamt 96 deutschen Regionen haben Probleme! In Sachen Wirtschaft hätten aber westdeutsche Regionen die rote Laterne und besonders düster sehe es in Duisburg/Essen, in der Region Emscher-Lippe und Bremerhaven aus. Es gebe akuten Handlungsbedarf für die Politik, damit diese Regionen nicht den Anschluss verlören. „Die betroffenen Länder sollten Schuldenerlasse für die Kommunen in Betracht ziehen, damit diese wieder handlungsfähig werden“, schlägt Michael Hüther, Direktor des IW, vor.[3] „Eine kluge Regionalpolitik sollte den Kommunen die Möglichkeit geben, sich selbst zu helfen“, ergänzt Jens Südekum, Studienmitautor und Ökonom an der Universität Düsseldorf. „Aber auch der Bund und die Länder sind in der Verantwortung.“ Weitere Stellschrauben sehen die Wissenschaftler darin, bürgerschaftliches Engagement besser zu unterstützen und zu vereinfachen, Bildungsangebote in den betroffenen Regionen zu verbessern und das Netz – sowohl in Form von Schienen als auch von Breitbandinternet – auszubauen.
Ein deutliche Warnung vor der Abwärtsspirale
„Die Regionalpolitik muss jetzt dringend gegensteuern, sonst werden die gesellschaftlichen Spannungen zunehmen und es kann zu gefährlichen Abwärtsspiralen kommen“, warnen Hüther und Südekum. Dass das IW inzwischen eine ähnliche Warnung ausspricht, wie der kritische Agrarbericht oder der Sozioökonomischer Disparitätenbericht 2019 der sozialdemokratischen Friederich Ebert Stiftung[4] sollte eigentlich ein politisches Erdbeben ausgelöst haben, in einem Land, dass sich selbst im vermeintlichen Wohlstandsgefühl wälzt und auf ostdeutsche Landtagswahlen zugeht. Aber statt sich auf den langen und mühsamen Weg zu machen, den Prof. Hahne beschreibt, setzt Politik erstmal auf Marketing und löst eine bundesweiten Heimatrausch aus. Hier sind nicht nur die dauerverdächtigen Bayern unterwegs, nein selbst das sonst so nüchterne Nordrhein-Westfalen setzt auf diese Karte und vergibt inzwischen sogar Heimat-Schecks: „Mit den fünf Elementen Heimat-Scheck, Heimat-Preis, Heimat-Werkstatt, Heimat-Fonds und Heimat-Zeugnis fördert die Landesregierung mit rund 150 Millionen Euro bis 2022 die Gestaltung der Heimat vor Ort, in Städten und Gemeinden und in den Regionen. Eine Antragsstellung ist möglich. Die dazu benötigten Formulare finden Sie bei der Vorstellung der jeweiligen Förderelemente auf dieser Seite.“[5] Eingedenk der eingangs benannten roten Laternen in NRW ist dieses Politikmarketing geschmacklos.
Literatur:
[1] „Erfolgreiche metropolferne Regionen“, Seite 309
[2] https://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2019/KAB2019_187_191_Hahne.pdf
[3] https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Externe_Studien/2019/IW-Regionalstudie_2019.pdf
[4] http://library.fes.de/pdf-files/fes/15400-20190528.pdf
[5] https://www.mhkbg.nrw/themen/heimat/foerderprogramm-heimat-zukunft-nordrhein-westfalen-wir-foerdern-was-menschen