Gegenwärtig wird in der internationalen Stadtforschung intensiv über die Folgen der Pandemie für die Urbanisierung und die Stadtentwicklung diskutiert. „COVID-19 hat ohne jeden Zweifel das Potential, die Urbanisierung kurzfristig aufzuhalten, weil die absehbare ökonomische Krise auch Großstädte stark treffen wird“, prognostiziert Prof. Dr.-Ing. Stefan Siedentop, der das Papier zusammen mit Ralf Zimmer-Hegmann vorgelegt hat. „Metropolen und Metropolregionen bleiben aber Orte von Wachstum und Innovation und damit auch bevorzugte Zielgebiete von internationaler und nationaler Migration. Wir halten es für wenig wahrscheinlich, dass sich dieser Trend längerfristig abschwächen wird“, so Siedentop weiter.
„Die Krise ist für die Wissenschaft ein Anlass für eine Selbstvergewisserung“
Mit den Auswirkungen von COVID-19 befasst sich längst auch die Stadtforschung. „Die Krise ist für die Wissenschaft ein Anlass für eine Selbstvergewisserung“, so Ralf Zimmer-Hegmann. So wird die Bedeutung von dichter Bebauung, von Urbanität und Zentralität für die Entstehung und Verschärfung der Pandemie kritisch hinterfragt.
„Zumindest für Deutschland sehen wir derzeit allerdings keine robusten Belege für signifikante Unterschiede in der Betroffenheit von Stadt und Land. Hotspots sind eher auf Zufälligkeiten oder lokale Veranstaltungen zurückzuführen“, so Zimmer-Hegmann weiter.
Gänzlich ausblenden könne man die Bedeutung der Siedlungs- und Bevölkerungsdichte für die Ausbreitung der Pandemie nicht. Andere Faktoren scheinen aber ebenso wichtig zu sein – etwa die Alterszusammensetzung der Bevölkerung oder wie stark Städte in globale Prozesse eingebunden und wie attraktiv sie für den Tourismus sind. „Besonders entscheidend erscheint uns, wie Städte mit der Krise umgehen und diese managen. Großstädte verfügen oft über eine hervorragende medizinische Infrastruktur. Notwendige Einkaufsmöglichkeiten sind oft nicht weit entfernt und der Nahverkehr sichert eine gute Grundversorgung“, so Siedentop.
Viele Diskussionen stehen noch am Anfang
Die entscheidende Frage sei nun, wie Städte dauerhaft widerstandsfähiger in Bezug auf Infektionskrankheiten werden können. Das betrifft die medizinische Ausstattung und Grundversorgung, aber auch andere Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wie die Energie- und Wasserversorgung, die Entsorgung oder den Nahverkehr. Die Autoren sehen die öffentliche Kontrolle solcher gemeinwohlorientierter Güter als wichtige Schlüsselfrage. „Viele Diskussionen stehen noch am Anfang. Wir wollen uns als Stadtforschungsinstitut in diese Debatten einbringen und an gesellschaftlichen Lösungen mitarbeiten. Wir sind davon überzeugt, dass eine angemessene Dichte, gute und gesunde Wohnverhältnisse, eine funktionierende Nachbarschaft sowie ausreichend Freiflächen wichtige Eckpunkte der nachhaltigen Stadtentwicklung sind und bleiben werden“, so das Autorenteam.