Sehr geehrte Mitglieder der Österreichischen Bundesregierung!
Sie haben in der COVID19-Krise ein professionelles Krisenmanagement aufgezogen und sich nicht vor einschneidenden Maßnahmen gescheut. Dabei hat sich gezeigt, dass professionelle politische und im Sinn des Gemeinwohls notwendige Steuerung von der Bevölkerung weitgehend positiv bewertet wird und Bereitschaft zu adäquatem Handeln besteht. In Krisenzeiten braucht es klare Steuerung auf der Basis von wissenschaftlicher Expertise. Sie haben gezeigt, dass das in Österreich möglich ist.
Der erste Infektionspeak ist überwunden, doch die Herausforderungen sind keineswegs geringer geworden. Im Sinne eines vorausschauenden, längerfristigen Risikomanagements geht es nun vordergründig darum, durch gezielte Fördermaßnahmen soziale Härten auszugleichen, die wirtschaftliche Leistung wieder anzukurbeln und dabei ein mögliches Wiederaufflammen von COVID19-Infektionen in Grenzen zu halten.
Eine „Rückkehr zum gewohnten Alltag“ kann und darf es aber im Licht der Klimakrise nicht geben. Denn auch wenn wir uns alle nach einer „Zeit nach der Krise“ sehnen – als KlimaforscherInnen wissen wir, dass die große Krise noch vor uns liegt. Wenn wir dem fortschreitenden Klimawandel nicht jetzt gegensteuern, wird sich dieser weit katastrophaler entwickeln als alle Szenarien, die im Zusammenhang mit COVID19 vorgestellt wurden. Daher gilt es, die als ein zentraler Punkt in Ihrem Regierungsprogramm verankerte Klimaneutralität bis 2040 ernsthaft und konsequent voranzutreiben. Die hierzu nötigen politischen Entscheidungen sind nicht minder herausfordernd und können nicht aufgeschoben werden. Entscheidungen müssen jetzt getroffen werden.
In der COVID19-Krise ist es zur Selbstverständlichkeit geworden, Entscheidungen aufgrund wissenschaftlicher Evidenz zu fällen. Wir drängen darauf, dass auch die Klimakrise mit der gleichen Professionalität gehandhabt wird. Die wissenschaftlichen Fakten sind wesentlich klarer als in der Corona-Frage. Die nächsten fünf Jahre sind der Zeitraum, der ganz wesentlich über die Zukunft der Menschheit entscheidet. Durch konsequente Klimaschutzmaßnahmen kann jetzt die Klimakrise noch so weit abgemildert werden, dass wir große und irreversible Veränderungen und deren katastrophale Konsequenzen vermeiden.
Wenn diese Maßnahmen aber nach hinten verschoben werden, und stattdessen der fossile „Lock-In“ durch Rückkehr zu „Business as Usual“ weiter verfestigt wird, verspielen Sie unwiederbringlich die Möglichkeit, um die Menschen vor dem weiteren Anwachsen der Klimakrise zu einer Klimakatastrophe zu schützen. Die politische Verantwortung dafür liegt bei Ihnen und die jetzt durch Sie getroffenen Richtungsvorgaben in der Bewältigung der COVID19-Krise sind auch für die Klimakrise entscheidend.
In der zeitlichen Koinzidenz liegt eine große Herausforderung, aber die jedenfalls notwendigen staatlichen Lenkungen bieten auch eine große Chance. Es liegt in Ihrer Hand, mit den richtigen Entscheidungen zwei globale Bedrohungen durch eine gemeinsame Strategie zu überwinden. In dieser Legislaturperiode entscheiden Sie daher nicht nur über eine kurzfristige Krisenbewältigung, sondern v.a. auch über die längerfristige Zukunft Österreichs. Und nicht nur das – Sie, die Österreichische Bundesregierung, gelten derzeit als eines der europaweiten Vorbilder, was das Management der COVID19-Krise betrifft. Die EU schaut auf Österreich. Nutzen Sie diese Chance und beweisen Sie Ihren Weitblick und Ihre Vorbildrolle auch in der Klimakrise!
Wir fordern Sie daher auf Basis des Wissensstandes der Klimaforschung und im Sinne Ihres Regierungsprogramms „Aus Verantwortung für Österreich“ auf, die jetzt in Folge der COVID19-Krise geplanten Unterstützungen an klare Klimaschutzziele zu koppeln. Konkret bedeutet das insbesondere, die zur staatlichen Förderung der wirtschaftlichen Erholung geplanten finanziellen Zuwendungen:
1. an Industrie und produzierendes Gewerbe mit verpflichtenden Auflagen zur kurzfristigen Reduktion und zum mittelfristigen Ausstieg aus Treibhausgasemissionen zur Erfüllung der Klimaschutzziele und zu Schritten hin zu einer Kreislaufwirtschaft zu koppeln.
2. im Dienstleistungssektor mit Auflagen zu verbinden, die an den Nachhaltigkeitszielen der UN Agenda 2030 („Sustainable Development Goals“) ausgerichtet sind.
3. im Verkehrssektor an den Ausbau eines klimaneutralen und stark emissionsreduzierten öffentlichen Personennah- & -fernverkehrs und eines fossilfreien Individual- & Güterverkehrs zu binden, sowie an eine Reduktion von Kurzstreckenflügen.
4. im Land- und Forstwirtschaftssektor mit klaren Auflagen zur vermehrten Speicherung von Kohlenstoff in Holz, Gras und Böden, zur Förderung der Biodiversität und zur Steigerung der nachhaltigen Produktion von Lebensmitteln zu koppeln.
5. an Haushalte im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 zu gestalten und die in Österreich lebenden Menschen sozial abzusichern und Kinder vor Armut zu bewahren.
Finanzielle Unterstützungen müssen transparent und insgesamt so gestaltet sein, dass die zur Sicherstellung der kritischen Infrastruktur erforderlichen Bereiche stärker berücksichtigt werden und dass die Krisen-Resilienz Österreichs durch die Diversität von Klein- und Mittelbetrieben in allen Sparten und die Sicherung nationaler Produktionsstätten lebenswichtiger Güter steigt. Wir fordern Sie auch dringend auf, sehr aktiv auf EU Ebene darauf zu drängen, dass auch bei Finanzhilfen der EU an Mitgliedsstaaten und Wirtschaftssektoren die oben genannten Auflagen eingefordert werden. Diese müssen integraler Teil des Green Deal der EU werden, der nur mit entsprechender Unterstützung der Mitgliedsstaaten gelingen kann, um damit die Wirkung der Hilfen zu vervielfachen.
Diese Entscheidungen müssen jetzt getroffen werden und erlauben keinen Aufschub mehr. Als Bundesregierung können Sie damit Ihre in der COVID19-Krise gezeigte Kompetenz im Krisenmanagement beweisen und weiter ausbauen. Österreich wird damit im europäischen und internationalen Kontext seine begonnene Vorreiterrolle im erfolgreichen Umgang mit den großen Herausforderungen untermauern. Es liegt nun in Ihrer unausweichlichen Mitverantwortung, das Anwachsen der Klimakrise zu einer Klimakatastrophe abzuwenden!
Die unterzeichnenden Forscher sind die 22 Mitglieder der Kommission Klima und Luftqualität (KKL) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), die in diesem Rahmen als führende und weisungsfreie ExpertInnen im Dienst des Gemeinwohls vernetzt sind. Im Namen aller Mitglieder versichern wir Ihnen, dass wir seitens der österreichischen Wissenschaft jederzeit bereit sind, die Bundesregierung beim Bewältigen dieser großen Aufgaben zu unterstützen.