Energiewende: Mecklenburg-Vorpommern gilt deutschlandweit als das Bundesland der erneuerbaren Energien (EE). Aber wie kann durch Wind- und Solaranlagen eine dauerhaft stabile Energieversorgung auch über Mecklenburg-Vorpommern hinaus erreicht werden? Oder droht ohne konventionelle Kraftwerke ein Blackout? Fragestellungen wie diesen widmet sich das Forschungsverbundprojekt „Netz-Stabil“, das im Rahmen des Exzellenzforschungsprogramms des Landes Mecklenburg-Vorpommern bis 2020 Ergebnisse vorlegen will.
Ingenieure und Theologen der Universität Rostock, Juristen und Wirtschaftswissenschaftler der Universität Greifswald und Ingenieure der Fachhochschule Stralsund ringen im interdisziplinären Dialog um Lösungen. Die Wissenschaftler, unter der Leitung der Fakultät für Informatik und Elektrotechnik (IEF) der Universität Rostock, untersuchen die Stabilität der Netze mit Wind- und Bioenergie, mit Energiespeichern und wechselnden Lasten mit dem Ziel, das Zusammenspiel der Energieflüsse durch weitere Innovationen zu optimieren.
„Wir machen zunächst viel Vorfeldforschung“, sagt Professor Hans-Günter Eckel vom Lehrstuhl für Leistungselektronik und Elektrische Antriebe der IEF, der das Projekt koordiniert. „Es geht um eine Vielzahl von Maßnahmen, damit das elektrische Netz so stabil bleibt, wie wir es gewohnt sind“, nennt Professor Eckel die Herausforderung. Eine der Fragen, die sich stellt: Wie muss das elektrische Netz in M-V ausgebaut werden, um den Strom der regenerativen Energien zum Verbraucher zu bringen, da es die gegenwärtig aktiven Netze nicht schaffen? „Die Energiewende auf Erzeugerseite und der technologische Wandel auf Verbraucherseite führen zu einer Verschlechterung der Stabilität des elektrischen Verbundnetzes. Die fluktuierende Einspeisung regenerativer Erzeuger gefährdet das Gleichgewicht aus erzeugter und verbrauchter Leistung“, so Professor Eckel. Das Dilemma ist, dass Windparks abgeschaltet werden müssen, wenn der Wind zu stark weht und wenn die Sonne zu kräftig scheint, weil dann sehr viel Solarstrom eingespeist wird. Dazu sagt Professor Harald Weber von der IEF, der als Energie-Experte im Land gilt: „Es steht die Frage im Raum, wann wir ernsthaft anfangen müssen, Speicher zu bauen. Dann sei zu klären, wie groß die sein müssten, was sie kosten und wo sie am besten stehen.“
Mecklenburg-Vorpommerns Energieminister Christian Pegel spricht Klartext: „Die Zukunft der Energiewende besteht nicht nur im reinen „Ernten“ von erneuerbarem Strom, sondern vielmehr in dessen Verarbeitung und Integration in ein erneuerbares Energiesystem.“ Die Unstetigkeit von Wind und Sonne verlange eine ständige Ausregelung des EE-Stroms, um die Netzstabilität sicherzustellen. Auch eine längerfristige Speicherung von EE-Strom spiele in Mecklenburg-Vorpommern, das bereits heute mehr Strom aus erneuerbaren Quellen erzeuge als es selbst verbraucht, eine wichtige Rolle. Für eine ganzheitliche Energiewende müsse der erneuerbare Strom zudem durch Sektorenkopplung zusammen mit dem Wärme- und Verkehrsbereich betrachtet werden. Energieminister Pegel: „Für all diese Herausforderungen brauchen wir technische und regulatorische Lösungen, die gleichzeitig soziale und gesellschaftliche Aspekte berücksichtigen. Dies alles werde derzeit durch den Forschungsverbund „Netz-Stabil“ erarbeitet. Ebenso erhoffen wir uns, dass sich aus den Forschungen Kooperation mit der heimischen Wirtschaft entwickeln, welche die Forschungsergebnisse in ersten Pilotprojekten umsetzen.“
Zum Forschungsverbund „Netz-Stabil“ gehört auch die Theologie. Das ist für einen weitgehend technisch ausgerichteten Forschungsverbund eher unüblich, doch geht es im systematisch-theologischen Teilprojekt von „Netz-Stabil“ um eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Hier werden technikethische Fragestellungen formuliert und bearbeitet, die aus der technischen Forschung erwachsen. Das Besondere dieses Teilprojektes bestehe darin, so Professorin Gesche Linde vom Lehrstuhl für Systematische Theologie und Religionsphilosophie der Universität Rostock, dass im direkten Austausch mit Vertretern der anwendungsbezogenen Fächer gearbeitet werde. So soll zweierlei erreicht werden. Zum einen sollen ethisch relevante Probleme identifiziert werden, die auch in den beteiligten Disziplinen selbst, etwa in den Ingenieurwissenschaften, der Ökonomie oder der Rechtswissenschaft, als solche wahrgenommen werden. Beispielsweise die Frage, welche Auswirkungen die Errichtung von Windparks für die Bevölkerung in bestimmten Gegenden hat und was das für das gesamtgesellschaftliche Projekt einer Umstellung auf erneuerbare Energien bedeutet. Welche Konsequenzen hätten die prognostizierten Preissteigerungen für einkommensschwache Haushalte und wie soll mit diesen Konsequenzen umgegangen werden?
„Zum anderen sollen aus einer dialogischen Verfahrensweise Anregungen für eine Ethik gewonnen werden, die ihre moralischen Kriterien und ethischen Standards nicht oder zumindest nicht allein aus einer theorieorientierten Literatur ableitet, sondern auch oder sogar primär aus dem Gespräch mit den Beteiligten und Betroffenen gewinnt“, betont Professorin Linde. Gedacht ist also nicht daran, dass der Ethiker den Kollegen aus der Technik (oder gar die Bevölkerung) am Ende des Projekts darüber belehrt, was als moralisch gut oder schlecht zu beurteilen wäre. Vielmehr entwickelt der Ethiker die Theorie für ein Verfahren, mit dessen Hilfe moralisch relevante Situationen identifiziert, beschrieben und die sich daraus ergebenden Konflikte verhandelt werden können.
In Anbetracht der Tatsache, dass es im entscheidenden Maße Akzeptanzprobleme sind, die die Energiewende behindern, und dass sich hinter diesen Akzeptanzproblemen auch moralische Probleme verbergen, handelt es sich bei diesem Projekt also um eines, das letztlich zum Erhalt des gesellschaftlichen Friedens beitragen kann.