Die Wirtschaftsleistung von Deutschland ist durch die Corona-Pandemie stark beeinträchtigt. Um die Wirtschaft zu beleben, einigten sich die Regierungsparteien am 3. Juni 2020 in ihrem Koalitionsausschuss auf ein „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ sowie ein „Zukunftspaket“ in Höhe von insgesamt 130 Milliarden Euro. Für 2020 und 2021 sind fast 60 Maßnahmen vorgesehen, die von steuerlichen Vergünstigungen bei der Mehrwertsteuer bis hin zu konkreten Investitionen in Zukunftstechnologien reichen. Mit Blick auf den Klimaschutz beinhaltet das Maßnahmenpaket der Großen Koalition zwar gute Ansätze und viele wichtige Impulse, die allerdings zu verpuffen drohen, wenn sie nicht durch eine konsequente und nachhaltig ausgerichtete Klimapolitik flankiert werden. Zudem fehlen für den Klimaschutz wichtige Bereiche, wie Investitionen in die Kreislaufwirtschaft. Außerdem werden Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz nur unzureichend berücksichtigt. Gerade in diesen Bereichen hätten sich konjunkturbelebende Effekte und Klimaschutz in idealer Form ergänzen können, kritisiert das Wuppertal Institut. In seinem neuen Diskussionspapier „Konjunkturprogramm unter der Klimaschutzlupe – viele gute Impulse, aber Nachbesserungen für nachhaltige Wirkung erforderlich?“ reagiert es auf die vorliegenden Vorschläge und fasst zusammen, welche Maßnahmen im Rahmen der jetzt anstehenden Umsetzungsphase nachgebessert werden sollten und wo Ergänzungen notwendig sind.
Keine Bewältigung der Corona-Pandemie ohne wirtschaftliche Hilfen
Für die Bewältigung der Corona-Pandemie sind wirtschaftliche Hilfen unerlässlich. Sie flankieren die Anstrengungen, die ungebremste Ausbreitung der Pandemie zu verhindern und die gesundheitlichen Risiken zu begrenzen. Zur Überwindung der wirtschaftlichen Folgen können ergänzend zu kurzfristig notwendigen Unterstützungsmaßnahmen Konjunkturprogramme helfen. Das Wuppertal Institut verdeutlichte bereits in seinem Diskussionspapier „Folgen der Corona-Pandemie und Klimaschutz“ im März 2020, dass Maßnahmen für die konjunkturelle Belebung notwendig sind. Diese sollten aber so ausgerichtet sein, dass sie zukunftsgerichtet sind und gleichzeitig Impulse für mittel- bis langfristig ohnehin notwendige Transformationsprozesse leisten und so einen doppelten Nutzen bringen. Mit Blick auf die Vermeidung zukünftiger, womöglich noch deutlich weitgehenderer Krisen sind diesbezüglich vor allem Investitionen für den Klimaschutz erforderlich. Am 3. Juni 2020 haben die Regierungsparteien im Koalitionsausschuss ein „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ im Verbund mit einem „Zukunftspaket“ in der Größenordnung von insgesamt 130 Milliarden Euro beschlossen. Etwa ein Viertel der Summe ist für Investitionen für den Klimaschutz vorgesehen.
„Die klimapolitischen Maßnahmen im Paket geben wichtige Impulse, vor allem wenn sie ergänzend zu den Vereinbarungen aus dem Klimaschutzprogramm 2030 gesehen werden. Sie können aber nur ein Anfang sein, wenn es darum geht notwendige strukturelle Veränderungen zur Erreichung der Klimaschutzziele anzuregen. Das Programm beinhaltet zwar wichtige Themen wie Wasserstoff, Elektromobilität und Gebäudesanierung. Es sendet jedoch für den Klimaschutz nicht das von vielen Seiten erhoffte Aufbruchssignal, welches aufgrund der sich zuspitzenden Klimaveränderungen dringend erforderlich wäre“, betont Prof. Dr.-Ing Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts.
Einschätzungen und Empfehlungen des Wuppertal Instituts
Daher reflektieren die Autoren des Wuppertal Instituts im jetzt erschienenen Diskussionspapier „Konjunkturprogramm unter der Klimaschutzlupe – viele gute Impulse, aber Nachbesserungen für nachhaltige Wirkung erforderlich?“ die Vorschläge der Bundesregierung aus der Klimaschutzperspektive und empfehlen Anpassungen sowie die Umsetzung weiterer Maßnahmen. Im Zentrum der Analyse stehen die Sektoren Gebäude, Industrie, Verkehr, Energiewirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung, Kreislauf- und Abfallwirtschaft genauso wie Handlungsmöglichkeiten im Bereich Lebensstile und Konsum.
Im Zukunftspaket fehlen wichtige Bereiche
Aus der Sicht der Forschenden fehlen in dem Zukunftspaket für den Klimaschutz wichtige Bereiche, wie insbesondere Investitionen in die Kreislaufwirtschaft. Diese könnten einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Wirtschaftskreisläufe robuster und weniger krisenanfällig aufzustellen und neue Exportmärkte zu erschließen. Ein weiterer Schwachpunkt ist, dass Energieeffizienzmaßnahmen, deren Umsetzung mit großen volkswirtschaftlichen Effekten verbunden ist, in dem Konjunkturprogramm eine eher untergeordnete Rolle spielen. Zudem zeigt das Autorenteam auf, dass bei einigen der beschlossenen Maßnahmen die Gefahr besteht, kontraproduktive Effekte für den Klimaschutz auszulösen, wenn etwa durch eine Mehrwertsteuer-Senkung auf die Benzin- und Dieselpreise das Autofahren attraktiver wird. Auch eine geringere beziehungsweise stabilere EEG-Umlage (und damit auch der Stromkosten), die aus sozialer und wirtschaftlicher Sicht absolut sinnvoll ist und die Sektorenkopplung unterstützt, kann sich bei heutigen Anteilen erneuerbarer Energien am Strommix potenziell emissionssteigernd auswirken, da sie weniger Anreize für die Umsetzung von Stromeinsparmaßnahmen setzt.
Die Einschätzungen und Empfehlungen des Wuppertal Instituts knüpfen dabei an die mittlerweile umfangreiche aktuelle wissenschaftliche Diskussion zur Ausgestaltung solcher Programme an. Die Maßnahmenvorschläge werden in systematischer Form anhand von vier Kriterien bewertet: zeitnahe Umsetzbarkeit, Zielgerichtetheit, zeitliche Begrenzung und nachhaltige Wirkung. Auf der Basis der kritischen Analyse schlagen die Expertinnen und Experten für die verschiedenen Sektoren aus ihrer Sicht sinnvolle Nachbesserungen sowie Ergänzungen vor. Unter anderem umfasst dies:
Gebäude: Weitgehende Fokussierung auf bestehende Programme der Gebäudesanierung führt zu schneller Umsetzbarkeit. Bei der konkreten Ausgestaltung sollte aber unbedingt die soziale Komponente als Teil eines sozial-ökologischen Transformationsprozess verstärkt werden und wichtige Akteursgruppen stärker in den Blick genommen werden, unter anderem durch Öffnung der Zuschussvariante für private Kleinvermieterinnen und -mieter. Ergänzend sollte die Durchführung einer Komfortlüftungsoffensive für das Erschließen von Einsparpotenzialen jenseits der Gebäudehülle und als Beitrag zum Gesundheitsschutz erwogen werden.
Industrie: Mit der Wasserstoffwirtschaft wird ein wichtiger Zukunftsbereich in den Mittelpunkt gestellt. Hinzu kommen sollte eine zügige und unbürokratische Umsetzung vorhandener Effizienzpotenziale im Rahmen einer Investitionsoffensive Energieeffizienz zur Förderung hocheffizienter Maschinen und Anlagen, statt einer undifferenzierten Senkung der Stromkosten. Hier kann eine schnelle Verankerung und konsequente Umsetzung von Nachhaltigkeitskriterien in öffentlichen Beschaffungsprozessen (grüne Produkte und Materialien) helfen.
Kreislauf- und Abfallwirtschaft: Weder das Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket noch das Zukunftspaket enthalten konkrete Maßnahmen bezüglich der Kreislauf- und Abfallwirtschaft. Zusätzlich erforderlich sind daher Investitionen in Sektoren und Querschnittsthemen mit erheblichen Kreislaufwirtschaftspotenzialen und hoher Klimaschutzwirkung, wie beispielsweise ein Start-up-Programm für zirkuläre Textilien. Zudem sollte die Industrie durch Maßnahmen zur Stärkung des Kunststoffrecyclings und digitalisierten Kreislaufwirtschaft unterstützt werden.
Verkehr: Das Konjunkturpaket enthält zahlreiche gute Maßnahmen und konsequente Orientierung auf Elektromobilität. Veränderte Mobilitätsbedürfnisse als Folge der Corona-Pandemie verdeutlichten aber, dass die Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur beschleunigt ausgebaut werden muss und speziell auch ein Programm zur Verkehrsvermeidung gefördert werden sollte. Innovative Mobilitätsangebote, wie die Förderung des Bikesharings, können dies unterstützen. Während eine Kaufprämie für Elektrofahrzeuge nur Bevölkerungsgruppen anspricht, die einen Pkw nutzen und einen Neuwagenkauf finanzieren können, kann eine Mobilitätsprämie für alle Bürgerinnen und Bürger als Konsumgutschein für nachhaltige Mobilität eingesetzt werden, zum Beispiel für Carsharing, Anschaffung eines Pedelecs oder Abo-Tickets für den öffentlichen Verkehr.
Energiewirtschaft: Klimapolitisch ist die Reduktion der EEG-Umlage aus Sicht des Klimaschutzes ein zwiespältiger Ansatz. Sie setzt wichtige Anreize für die Sektorenkopplung, wirkt aber stark negativ auf Anreize zur Stromeinsparung. Abhilfe schaffen kann ein Prämienprogramm für stromsparende Geräte und Prozesse, mindestens aber eine höhere Mehrwertsteuer-Reduktion für effiziente elektrische Geräte und Anlagen.
Landwirtschaft und Ernährung: Die Land- und Ernährungswirtschaft wird durch das Konjunkturprogramm kaum adressiert. Gerade hier ließe sich eine stärkere Lenkungswirkung der Mehrwertsteuerabsenkung erzielen, wenn diese explizit an regionale, ressourcenleichte und sozialgerecht-erzeugte Lebensmittel geknüpft würde, was zudem positive Effekte für die Binnennachfrage hätte.
Lebensstile und Konsum: Schnittstellen zwischen Produktion und Konsum wurden nicht berücksichtigt. Die verminderte Mehrwertsteuer führt zu Anreizen für den Konsum nach dem „Gießkannenprinzip“, statt gezielt ressourcenleichte und klimaschützende Lebensweisen und dazugehörige Produkte zu fördern. Umgekehrt besteht die Gefahr, dass in energieintensive Produkte investiert wird. Durch finanzielle Förderung im Verbund mit einer Produktinformationsplattform für ökologische, soziale und nachhaltig Produkte könnte nachhaltiger Konsum für möglichst Viele ermöglicht werden.
Zusammenfassend stellt Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick dar: „Dieses 130-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket ist ein mutiger Schritt in die richtige Richtung. Die nächsten Wochen sollten aber unbedingt dafür genutzt werden Nachbesserungen und Ergänzungen umzusetzen, um die Wirkung für den Klimaschutz zu erhöhen und damit nicht nur einen konjunkturbelebenden Effekt auszulösen, sondern zeitgleich Krisenprävention zu betreiben. Die Corona-Krise kam plötzlich und unerwartet, vom Klimawandel wissen wir dagegen ganz genau, dass er stetig fortschreitet und dauerhafte Folgen hat, wenn wir nicht jetzt massiv gegensteuern. Es wäre fahrlässig, nicht jede Chance zu nutzen, einen möglichst hohen Beitrag zum Gegensteuern zu leisten.“