Schweiz: Das Klima rennt den Bambis davon

Seit 1971 werden in der Schweiz Rehkitze mit Ohrmarken markiert. Dies soll auch in Zukunft weiter stattfinden, um Bestandsveränderungen aufgrund des Klimawandels rechtzeitig zu erkennen. Bild: Maik Rehnus, WSL Eidg. Forschungsanstalt WSL

Während Pflanzen aufgrund des Klimawandels immer früher austreiben, verschiebt sich der Zeitpunkt der Rehgeburten nur langsam nach vorne. Dadurch verändert sich das Nahrungsangebot während der Jungenaufzucht. Betroffen sind vor allem Rehpopulationen in tieferen Lagen, wie eine Studie der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL nachwies. Während Pflanzen aufgrund des Klimawandels immer früher austreiben, verschiebt sich der Zeitpunkt der Rehgeburten nur langsam nach vorne. Dadurch verändert sich das Nahrungsangebot während der Jungenaufzucht. Betroffen sind vor allem Rehpopulationen in tieferen Lagen, wie eine Studie der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL nachwies.

Foto: WSL

Wildtiere gebären ihren Nachwuchs zu dem Zeitpunkt, an dem die Umweltbedingungen einen optimalen Fortpflanzungserfolg ermöglichen. Rehkitze kommen deshalb zu Beginn der Vegetationszeit zur Welt. Zu dieser Zeit finden die säugenden Rehgeissen Gräser und Kräuter, die zart und gut verdaulich sind und einen hohen Energie- und Proteingehalt aufweisen. Da mit dem Klimawandel die Vegetationsentwicklung immer früher einsetzt, überlappen die Zeit mit dem besten Nahrungsangebot und die Setzzeit der Rehe, also der Zeitraum der Geburten, im Mittelland immer weniger oft. Dies zeigen die Resultate einer Studie unter der Leitung von Kurt Bollmann, Wildtierbiologe an der WSL.

Rehkitze mit Ohrmarken

Seit 1971 werden in der Schweiz Rehkitze mit Ohrmarken markiert und dabei Informationen zum Fundort erhoben. Für ihre Untersuchungen verglichen Maik Rehnus von der WSL und Marta Peláez von der Polytechnischen Universität in Madrid die Setztermine von 8983 Rehkitzen in den Jahren 1971 bis 2015 mit Langfristdaten zum Beginn der Vegetationszeit und zum Zeitpunkt, an dem das Heu der Wiesen zum ersten Mal geschnitten wurde. In diesem Zeitfenster sind die Nahrungsbedingungen für die säugende Rehgeiss optimal.

Die Vegetationszeit begann im Durchschnitt jedes Jahr 0,45 Tage früher, der erste Heuschnitt 0,32 Tage. In den untersuchten 45 Jahren hat sich somit der Vegetationsbeginn 20 Tage und der Heuschnitt 14 Tage nach vorne verschoben, die Setztermine mit 0,06 Tagen pro Jahr jedoch insgesamt nur drei Tage. Über alle Höhenlagen veränderten sich die Setztermine somit sieben- bzw. fünfmal langsamer als die Vegetation. Ein Grund für die langsame Anpassung des Setztermins ist der Umstand, dass die Fortpflanzung des Rehs durch das Tag/Nacht-Verhältnis gesteuert ist. Dieses verändert sich nicht durch den Klimawandel.

Optimale Bedingungen und Setztermine driften auseinander

In den tieferen Lagen kommen die Setztermine heute immer häufiger ausserhalb des Zeitraums mit optimalem Nahrungsangebot zu liegen, während sie in den höheren Lagen weiterhin im Optimum sind. Die Folgen sind laut den Forschenden ungewiss. «Dank der relativ kleinräumigen und mosaikartigen Bewirtschaftung der verschiedenen Landwirtschaftskulturen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten wachsen, findet das Reh auch nach den optimalen Bedingungen im Wiesland genügend Nahrung», sagt Bollmann. Es ist aber möglich, dass die Rehe in Zukunft im Mittelland seltener werden und die Hügel- und Berglagen stärker besiedeln werden, weil dort die Vegetationsentwicklung später einsetzt und somit besser mit den Setzterminen übereinstimmt.

Ob sich die Diskrepanz zwischen Setztermin und Wieslandentwicklung schlussendlich auf den Bestand auswirkt, hängt nicht nur von der Bewirtschaftung der anderen landwirtschaftlichen Kulturen, sondern auch von der Witterung im Winter und zur Aufzuchtzeit ab. Die Forschenden empfehlen darum, das Rehkitzmonitoring fortzusetzen und in den tieferen Lagen zu verdichten: «So können Bestandsveränderungen beim Reh rechtzeitig festgestellt und das Jagdmanagement entsprechend angepasst werden», sagt Rehnus, Erstautor der Studie.