Viele Hochschulen mussten zu Anfang der Pandemie die Umstellung auf Online-Betrieb vollziehen. Einige haben diese Lernform schnell und professionell umgesetzt, andere taten sich schwer und haben erst spät zu einer digitalen Lehre gefunden. Obwohl die Hochschulen unter entsprechenden Auflagen wieder öffnen dürfen, suchen aktuell nur wenige aktiv den Weg zurück in einen Präsenzbetrieb. Die SRH Hochschule Hamm geht diesen Weg. Rektor Prof. Dr. Lars Meierling erläuterte im Interview warum.
In den USA wird diskutiert, im kommenden Semester ausschließlich Online-Vorlesungen anzubieten und ausländische Studierende sogar zum Verlassen des Landes zu zwingen. Wie schätzen Sie dies ein?
Ich kann und will mich nicht zu diesen politischen Überlegungen äußern. Eine grundsätzliche Planung, die gesamte Lehre nur digital abzuhalten, halte ich in Deutschland für falsch.
Warum sehen Sie das so?
Die digitalen Optionen sind weitreichend und nützlich. Das gilt auch für die Hochschullehre. Dass wir überhaupt die Möglichkeit haben, Online-Lehre und Blended-Learning-Formate nutzen zu können, ist eine große Hilfe in dieser Zeit. Wir waren eine der ersten Hochschulen, die die Umstellung auf digital-gestützte Lehre geplant, organisiert und vollzogen hat. Unsere Studierenden waren im März und April in der Hochzeit der Einschränkungen in der Lage, alle Lehrveranstaltungen online zu besuchen. Sicherlich fungiert die Pandemie in vielen Bereichen auch als eine Art Katalysator für die Digitalisierung. Und doch sollten wir uns bewusst sein, dass – trotz aller positiven Effekte – die Digitalisierung Grenzen hat. Es muss kontinuierlich hinterfragt werden, ob und wie Lernziele erreicht werden können. Wir merken, dass die Rückkehr zu Präsenzveranstaltungen dringend erforderlich ist.
Können Sie das etwas genauer beschreiben?
Wir müssen uns fragen, wo eine Online-Veranstaltung sinnvoll ist und an welcher Stelle es eine persönliche Interaktion zwischen Dozent und Studierenden und auch zwischen den Studierenden selbst geben muss. Im Fokus dieser Frage steht, mit welcher Methode der Studierende sein Lernziel optimal erreicht. Ist ein Praxisprojektseminar über Bildschirme sinnvoll oder ist der Learning Outcome erst durch eine Interaktion vor Ort gegeben? Wir sind eine Präsenzhochschule, die den Aspekt der persönlichen physischen Interaktion als Kern betrachtet. Unsere Studierende, die sich bewusst für eine Präsenzhochschule entschieden haben, sind im Allgemeinen so sozialisiert, dass sie persönlichen Kontakt zum Wohlfühlen brauchen. Dieses Wohlfühlen ist ein wichtiges Kriterium für den Lernerfolg. Unsere Studierenden wollen auf ein persönliches soziales Umfeld nicht verzichten. Daher sollten wir bei der Beurteilung von digitaler Lehre nicht nur auf die technischen Möglichkeiten schauen, sondern die genannten Aspekte in eine Gesamtbeurteilung einfließen lassen. Aus diesen Gründen sind wir auch eine der ersten Hochschulen, die, unter der strikten Umsetzung der Auflagen der Corona-Schutzverordnungen, wieder in den Präsenzbetrieb übergegangen ist. Teilweise haben wir auch Präsenzanteile wieder verstärkt in die digitalen Formate integriert. Und eben das ist für die Zukunft, die bezüglich Corona ja durchaus ungewiss ist, sicherlich wichtig: Eine sinnvolle Kombination von Präsenzlehre und digitalen Lehrformen.
Was bedeutet eine Rückkehr zum Präsenzbetrieb für die praktische Umsetzung an der Hochschule, vor allem da die Corona-Pandemie noch nicht vorbei ist?
Für das gesamte Team unserer Hochschule bedeutet das einen erheblichen Aufwand, aber eine Rückkehr zum Präsenzbetrieb ist aus den vorgenannten Gründen der richtige Weg. Soweit das wie aktuell aufgrund der Corona-Situation verantwortet werden kann. Dabei hat das Wohlergehen unserer Studierenden hat für uns höchste Priorität, während sie an den Lehrveranstaltungen in der Hochschule teilnehmen. Wir haben dafür ein umfangreiches Hygienekonzept entwickelt und passen dieses wöchentlich an die aktuellen Anforderungen an. Unser Corona-Schutzkonzept umfasst unter anderem die Registrierung aller Personen, die die Hochschule betreten, ein Leit- und Wegesystem mit unterschiedlichen Ein- und Ausgängen sowie vielfältige Hygienemaßnahmen.
Sie planen an der SRH Hochschule Hamm also eine schnelle Rückkehr zu Präsenzveranstaltungen oder haben diese schon vollzogen?
Wie gesagt, haben wir an unserer Hochschule bereits jetzt den Präsenzbetrieb unter strengen Hygienevorlagen wieder aufgenommen. Auch für das kommende Wintersemester streben wir ein Präsenzsemester an, weil wir wissen, dass eine Präsenz an der Hochschule für die meisten unserer Studiengänge erforderlich ist. Deshalb hinterfragen wir für jeden Studiengang und jedes Modul schon jetzt kritisch, welche Veranstaltungen den Studierenden in Präsenzform einen wichtigen Mehrwert bieten und bieten diese im Präsenzformat an. Im Übrigen ist die Präsenzlehre und die Interaktion Miteinander der Kern unseres Lehr- und Lernprinzips CORE.
Was bedeutet CORE in diesem Zusammenhang?
Die Lehre an unserer Hochschule ist nach dem CORE-Prinzip, einem in NRW einzigartigen Lehrprinzip, ausgerichtet. Es rückt eigenverantwortliches und kompetenzorientiertes Lernen in den Vordergrund und verbindet so Kompetenz- und Wissenserwerb mit Freude am Lernen. Bei „CORE“ stehen neben dem Erreichen von Lernzielen somit aber vor allem auch der Austausch von Studierenden untereinander, die Interaktion mit den Lehrenden und die Reflexion der eigenen Leistungen im Vordergrund. Hierzu lernen die Studierenden in Gruppen- und Planspielen, in Team-Teaching-Situationen oder im 1-zu-1-Austausch mit den Lehrenden und können gleichzeitig ihre Kompetenzen trainieren und verbessern. Nicht umsonst wurde CORE 2018 für seine beispielhafte Lehrverfassung und -strategie mit dem Genius Loci-Preis des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft ausgezeichnet. Dieses also im wahrsten Sinne des Wortes ausgezeichnete Prinzip werden wir für unsere Studierenden weiter entwickeln. Von dieser Lernfokussierung auf Kompetenzorientierung werden die Studierenden nach ihrem Studium profitieren. Im nächsten Semester werden wir CORE auch in den digitalen Lehrformaten weiter integrieren und diese Formate so ausbauen, dass Elemente der Interaktion und Kompetenzorientierung verstärkt werden.
Wie schätzen die Studierenden die Vorgehensweise der Hochschule ein?
Unsere Studierenden sind dankbar, dass die Hochschule wieder geöffnet hat. Eine abschließende Aussage können wir erst treffen, wenn die Evaluierung der bei uns durchgeführten Onlineveranstaltungen abgeschlossen ist. Aber auch viele unserer Studierenden bestätigen, dass nicht alle Themen, die eine Präsenzveranstaltung ausmachen, über reine Onlinelehre langfristig abgebildet werden können.
Digitalisierung hat ihrer Meinung nach also Grenzen?
Ja, natürlich gibt es in Bezug auf die Lehre Grenzen. Es muss gelingen, eine sinnvolle Kombination zu erreichen und die positiven Effekte der Digitalisierung zu nutzen. Meine Befürchtung ist, dass es in vielen Bereichen ebenso schwer fallen wird, sich wieder von Teilen der Digitalisierung zu lösen, wie es schwer fiel, sich auf die Nutzung dieser Möglichkeiten einzulassen. Wir waren lange in einer analogen Lethargie und haben die Chancen der Digitalisierung nicht genutzt. Ich hoffe, dass wir nicht allzu lange ausschließlich in der Digitalisierung verharren und schnell auch im Bereich der Hochschulen einen sinnvollen Weg zurück zu einem persönlichen Miteinander finden.