Die Biodiversität und damit der Zustand von Flussökosystemen können vorhergesagt werden. Forschende der Universität Zürich und vom Wasserforschungsinstitut Eawag kombinieren dazu Umwelt-DNA mit hydrologischen Methoden. Am Beispiel des Flusses Thur konnten sie so schützenswerte Gebiete identifizieren, um Schutzmassnahmen einzuleiten.
Die Artenvielfalt ist sowohl in der Schweiz als auch weltweit stark bedroht. Der Bestand zahlreicher Organismen geht massiv zurück, insbesondere in Süsswasser-Ökosystemen. Alle in Flüssen lebenden Arten – etwa Fische, Bakterien und zahlreiche wirbellose Wassertiere wie Eintags-, Stein- oder Köcherfliegen – sind entscheidend, damit diese Ökosysteme funktionieren. Verantwortlich für den Rückgang dieser Arten sind die Homogenisierung ihrer Lebensräume, die Verschmutzung durch Pestizide und Nährstoffe oder die Ausbreitung eingeschleppter Arten. Um Flussökosysteme zu verstehen und zu schützen, ist das Monitoring ihrer Biodiversität unerlässlich.
Umwelt-DNA mit hydrologischen Modellen kombiniert
Alle Organismen geben ständig ihre DNA in die Umwelt ab. Durch Extrahieren und Sequenzieren der sogenannten Umwelt-DNA (eDNA) von Wasserproben kann die Artenvielfalt schneller, weniger invasiv und umfassender bestimmt werden als durch die Identifizierung der Organismen selbst. In einer neuen Studie entwickelte die Forschergruppe von Florian Altermatt, Professor am Institut für Evolutionsbiologie und Umweltforschung der Universität Zürich (UZH) und am Wasserforschungsinstitut Eawag, einen neuartigen Ansatz, um Biodiversitätsmuster in Flussökosystemen vorherzusagen. «Wir kombinierten erstmals den Einsatz von Umwelt-DNA mit hydrologischen Modellen, um Prognosen über den Zustand der Biodiversität mit einer sehr feinen Auflösung über ein Einzugsgebiet von Hunderten von Quadratkilometern zu treffen», sagt Altermatt.
Biodiversitätsprognosen mit hoher Genauigkeit
Da DNA in Flüssen über viele Kilometer flussabwärts transportiert wird, erhält man auch Informationen über das Artenvorkommen im stromaufwärts gelegenen Einzugsgebiet. Mit Hilfe von mathematischen Modellen, die auf hydrologischen Prinzipien basieren, konnten die Wissenschaftler Biodiversitätsmuster mit einer Auflösung von 1 Kilometer langen Flussabschnitten für das gesamte 740 Quadratkilometer grosse Einzugsgebiet der Thur in der Nordostschweiz rekonstruieren. «Unser Modell stimmt mit einer noch nie dagewesenen Genauigkeit von 57 bis 100 Prozent mit den lokal vorhandenen Wasserinsekten aus direkten Beobachtungen überein», sagt Luca Carraro, Erstautor der Studie.
Unsichtbare Biodiversitäts-Hotspots identifizieren
Das Einzugsgebiet der Thur mit Wald, Landwirtschaft und Siedlungen ist repräsentativ für viele Landnutzungstypen. Es dient somit als verallgemeinerbares Beispiel für viele Flussökosysteme. Die neue Methode ermöglicht zudem, mit nur minimalen Vorkenntnissen über das Flussökosystem den Zustand und die Veränderungen der Artenvielfalt grossräumig und hochauflösend zu ermitteln. «Konkret ermöglicht der Ansatz Biodiversitäts-Hotspots zu identifizieren, die sonst übersehen werden könnten, und gezielte Schutzstrategien umzusetzen», ergänzt Altermatt.
Rascher Transfer von Forschungsresultaten in der Schweiz
Viele Länder führen aktuell ein auf eDNA basierendes Gewässer-Biomonitoring ein – und könnten von der neuen Methode profitieren. Gemäss Florian Altermatt nimmt die Schweiz auf diesem Gebiet eine führende Rolle ein: «Der Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die praktische Anwendung verläuft sehr rasch. Wir befinden uns im Schlussspurt, um für das Bundesamt für Umwelt Richtlinen für den Einsatz von eDNA im Standard-Biodiversitätsmonitoring zu erstellen». Damit wird es möglich sein, die Artenvielfalt für das rund 65’000 Kilometer lange Netz der Schweizer Flüsse und Bäche besser zu beschreiben und zu überwachen.