Zweite Welle oder dritte Welle, Maske auf oder Maske ab, 50 Prozent-Auslastung oder Normalbetrieb? Die Corona-Pandemie bestimmt weiterhin den Alltag in Unternehmen. Wie es gelingen kann, mit diesen unsicheren Rahmenbedingungen umzugehen und was sich daraus für das Krisenmanagement ableiten lässt, erläutert Felix Timtschenko, erfahrener Krisenmanager und Gründer der Fachwerkstatt Sicherheit.
Herr Timtschenko, befinden wir uns noch in einer Krise und wie sollten Unternehmen mit der aktuellen Situation umgehen?
Aus meiner Sicht befinden wir uns noch mittendrin. Trotz aller Lockerungen und gefühlter Entspannung bei der Bevölkerung und in vielen Unternehmen sind weitreichende Folgen für die Wirtschaft zu erwarten. Viele Unternehmen haben verstanden, dass ein „weiter wie bisher“ oder „Aussitzen“ schlicht unmöglich ist. Reisesicherheit, Hygienemaßnahmen, Remote-Arbeitsplätze, bei einigen auch eine neu definierte Fürsorgepflicht sind nur einige Beispiele für eine veränderte Landschaft nicht nur in Deutschland sondern weltweit. Diejenigen, die die Zeit für neue Konzepte, die Neuausrichtung von Geschäftszweigen und Digitalisierung von Prozessen genutzt haben, sind im klaren Vorteil gegenüber den Unternehmen, die dies bisher nicht getan haben. Den meisten Unternehmen ist jedoch klar: Es wird sich mittel- und langfristig einiges verändern. Denen, die bis jetzt nichts oder wenig getan haben, würde ich empfehlen, diese Krise, die noch andauernd wird, nicht zu ignorieren, die Situation sorgfältig zu analysieren und zu handeln.
Hat sich Ihrer Meinung nach in den vergangenen Monaten in Unternehmen die Bereitschaft, für Krisen vorzusorgen und in Krisenmanagement zu investieren, nachhaltig verändert?
Ich stelle fest, dass die Themen „Krisenmanagement“, „Risikoanalyse“, „Globale Lagebeobachtung“ und „Reisesicherheit“ mehr Raum bei Unternehmen und sozialen Netzwerken einnehmen. Diese Themen und natürlich „Safety und Hygiene“ sind in der Mitte der Gesellschaft angelangt und werden so viel und so offen diskutiert und besprochen, wie ich es in den letzten 20 Jahren nicht erlebt habe. Das ist eine großartige Chance, den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. Ob jedoch die Bereitschaft besteht, Worten auch nachhaltige Taten im Sinne von Investments, neuen Strukturen, Fachpersonal, oder wirklicher Digitalisierung folgen zu lassen, bleibt abzuwarten. Ich sehe die derzeitigen Diskussionen mehr als ein zartes Pflänzchen der „Awareness“ für diese Themen.
Sie verfügen über eine breite internationale Erfahrung. Gibt es Besonderheiten in der Art und Weise, wie Krisenmanagement in deutschen Unternehmen umgesetzt wird?
Ich möchte vorweg schicken, dass generell deutsche Unternehmen zum Teil sehr gut aufgestellt sind. Jedoch fallen mir zwei Besonderheiten ein, denen ich öfter begegnet bin. Die eine ist Kommunikation. Ich habe den Eindruck, dass einige Unternehmen mit wirklicher Krisenkommunikation heillos überfordert sind und oft nur reagiert wird, anstatt proaktiv zu lenken. Das zeigt sich auch bei den jüngsten Skandalen und Krisen, die wir alle in den Medien verfolgt haben. Die zweite Besonderheit sind aus meiner Sicht die oft umfangreichen und schön geschriebenen Pläne für eine Krise oder Business Continuity Management. In anderen Ländern würde man sagen: „Ein Krisenplan muss nicht gut aussehen, er muss nur funktionieren.“ Oft wird ein Krisenmanagementplan verwechselt mit einem Roman oder einer schönen Präsentation für den Vorstand.
Am 10. September werden Sie an der NBS in Hamburg mit der Fachwerkstatt Sicherheit den Workshop „Loss of facility“ durchführen. Inwieweit beeinflussen die Erkenntnisse der letzten Monate die Inhalte Ihrer Workshops?
Immer mehr Unternehmen, darunter auch kleine und mittelständische, haben Liegenschaften und Mitarbeiter im Ausland. Ein Büro, eine Fabrik oder einfach nur Mitarbeiter, die im Coworking Space Downtown oder in der Business Hall im Hotel arbeiten. Diese Mitarbeiter sind exponiert und die Geschäftsprozesse, Assets und Lieferketten sind, wie wir auch in dieser Krise feststellen, sehr vulnerabel.
Wie erreiche ich meine Mitarbeiter? Was tue ich, wenn das Office wegen Unruhen im Land oder einer Pandemie über Nacht geschlossen wird? Was passiert genau bei einer Ausgangssperre? Sind meine Mitarbeiter richtig gebrieft und wie werden sie sich verhalten? Hat das Unternehmen Maßnahmen zur Evakuierung getroffen? Wie kommuniziere ich das Thema?
Aber auch hierzulande können Liegenschaften und Büros plötzlich ausfallen. Behördliche Anordnung, präventive Maßnahme der Unternehmensleitung, ein massiver Stromausfall oder Überschwemmung. All diese Fragestellungen subsumieren wir unter „Loss of facility“ und werden in einem sehr spannenden Szenarioworkshop gemeinsam Lösungen finden.
Das Interview führte Prof. Dr. André Röhl, Studiengangleiter Sicherheitsmanagement (B.A.) an der Northern Business School.