Wenn, wie derzeit in Kanada und im Nordwesten Amerikas, extreme Hitze häufiger wird und die Temperatur über eine längere Dauer auf hohem Niveau bleibt, steigt der physiologische Stress bei Menschen, Tieren und Pflanzen. Prof. Senthold Asseng, Direktor des Hans Eisenmann-Forums für Agrarwissenschaften an der Technischen Universität München (TUM), gibt einen Überblick über die Schwellenwerte und Anpassungsstrategien. Das Forschungsgebiet von Prof. Asseng ist die Analyse von Atmosphäre-Pflanze-Boden-Systemen mit Hilfe von Simulationsmodellen. Seine Hauptforschungsbereiche umfassen die Auswirkungen von Klimavariabilität und Klimawandel, Nachhaltigkeit des Pflanzenanbaus, Welternährungssicherheit sowie der Einsatz von Systemanalysen und Pflanzenmodellen zur Unterstützung autonomer roboter-gestützter Anbausysteme im Feld und in einer vollständig umweltkontrollierten Vertikalen Farm. Er studierte Agrarwissenschaften, promovierte an der Humboldt Universität Berlin und habilitierte an der Technischen Universität München. Er war Principal Research Scientist an der CSIRO in Australien. Er war ‚Full‘ Professor für Agrar- und Biotechnik an der Universität von Florida und Direktor des Florida Climate Institutes. Im Jahr 2020 wurde Prof. Asseng auf die Professur für Digital Agriculture berufen und ist seit 2021 Direktor des Hans Eisenmann-Forum für Agrarwissenschaften an der Technischen Universität München.
Wozu haben Sie geforscht?
„Wir haben bevorzugte und schädliche Temperaturen bei Menschen, Rindern, Schweinen, Geflügel und landwirtschaftlichen Nutzpflanzen untersucht und herausgefunden, dass diese erstaunlich ähnlich sind“, sagt Senthold Asseng, Professor für Digital Agriculture an der TUM. Wohlfühltemperaturen liegen demnach zwischen 17 und 24 Grad Celsius.
Wann wird es für den Menschen zu heiß?
Bei hoher Luftfeuchtigkeit beginnt eine leichte Hitzebelastung für den Menschen bei etwa 23 Grad Celsius und bei niedriger Luftfeuchtigkeit bei 27 Grad Celsius. „Wenn Menschen längere Zeit Temperaturen über 32 Grad Celsius bei extrem hoher Luftfeuchtigkeit oder über 45 Grad Celsius bei extrem niedriger Luftfeuchtigkeit ausgesetzt sind, kann das tödlich sein“, sagt Prof. Asseng. „Extremhitzeereignisse mit Temperaturen weit über 40 Grad Celsius, wie sie gerade an der amerikanischen Westküste zu beobachten sind, erfordern daher technische Unterstützung etwa in Form von klimatisierten Räumen.“
Zur Abschwächung der zunehmenden Hitzebelastung nennt Prof. Asseng weitere Strategien, etwa eine verstärkte natürliche Beschattung durch Bäume oder eine bauliche Beschattung. Auch Städte und Gebäude so umzugestalten, dass sie temperaturpassiver sind, beispielsweise durch hellere, reflektierende Dach- und Wandfarben oder eine verbesserte Wand- und Dachisolierung, kann die Hitzebelastung reduzieren.
Wie wirken sich hohe Temperaturen auf Nutztiere aus?
Bei Rindern und Schweinen treten Hitzebelastungen bei 24 Grad Celsius bei hoher Luftfeuchtigkeit und bei 29 Grad Celsius bei niedriger Luftfeuchtigkeit auf. Die Milchleistung bei Kühen kann um 10 bis 20 Prozent sinken, wenn sie einer Hitzebelastung ausgesetzt sind und auch die Mastleistung von Schweinen reduziert sich. Der angenehme Temperaturbereich für Geflügel liegt bei 15 bis 20 Grad Celsius. Eine leichte Hitzebelastung erfahren Hühner bei 30 Grad Celsius, ab 37 Grad empfinden sie eine starke Hitzebelastung, und die Legerate geht zurück.
Gibt es genetische Anpassungen an den Hitzestress?
Hitzestress führt insgesamt zu einem verringerten Wachstum von Rindern und Milchkühen, Schweinen, Hühnern und anderen Nutztieren, das bedeutet niedrigere Erträge und Reproduktionsleistungen. „Es gibt Beispiele für evolutionäre Anpassungen an warmes Wetter bei Landsäugetieren. Die Siebenbürger Nackthühner sind wegen einer komplexen genetischen Mutation, die das Federwachstum unterdrückt, hitzetoleranter als andere Hühner. Sie sind von Natur aus klimatisiert, weil ihnen die Federn am Hals fehlen“, sagt Prof. Asseng.
Wie erlebt die Pflanzenwelt große Hitze?
„Bei Nutzpflanzen scheinen die optimale Temperaturzone und die Temperaturschwellenwerte aufgrund von Unterschieden zwischen Arten und Sorten, vielfältiger zu sein“, erklärt Prof. Asseng. Kaltzeitige Pflanzen wie Weizen gedeihen beispielsweise besser bei kühleren Temperaturen. Warmzeitige Pflanzen wie Mais sind zwar frostempfindlich, vertragen aber wärmere Temperaturen. Anpassungsstrategien für Hitzestress beim Pflanzenbau sind Änderungen des Pflanzdatums, um Hitzestress später in der Saison zu vermeiden, falls machbar, Bewässerung, die Umstellung auf hitzetolerantere Pflanzen oder die Züchtung auf Hitzetoleranz.
Wie beeinflusst der Klimawandel das Leben auf der Erde?
„Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten 45 bis 70 Prozent der globalen Landfläche von Klimabedingungen betroffen sein, bei denen der Mensch ohne technische Hilfen, wie etwa Klimaanlagen, nicht mehr überleben kann. Derzeit sind es 12 Prozent“, sagt Prof. Asseng. Das bedeutet, dass in Zukunft 44 bis 75 Prozent der menschlichen Bevölkerung chronisch durch Hitze gestresst sein werden. Eine ähnliche Zunahme der Hitzebelastung ist für Vieh, Geflügel, Nutzpflanzen und andere lebende Organismen zu erwarten.
Und wenn es einfach so weitergeht?
„Eine genetische Anpassung an das geänderte Klima benötigt oft viele Generationen und die verfügbare Zeit ist für viele höhere Lebensformen zu kurz. Wenn die derzeitigen Klimaentwicklungen so weitergehen, könnten viele Lebewesen vom Temperaturwandel schwer betroffen sein oder sogar ganz von der Erde verschwinden“, resümiert Prof. Asseng.