Heidelbeeren biologisch vor Schädlingen schützen

Auswertung von Wachstumsversuchen des Nutzpilzes aus den Kapseln auf Petrischalen. Patrick Pollmeier FH Bielefeld

Heidelbeeren erleben einen regelrechten Boom: Die Anbaufläche für Kulturheidelbeeren in Deutschland hat sich in den vergangenen zehn Jahren von etwa 1.400 Hektar auf über 3.000 Hektar vergrößert. Seit einigen Jahren sind jedoch besonders viele Beerenkulturen durch das vermehrte und immer frühzeitigere ober- und unterirdische Auftreten von Schadinsekten bedroht. Viele Anbauer von Sonderkulturen sehen sich mit steigenden Bekämpfungsproblemen und hohen Verdienstausfällen konfrontiert. Denn Insektizide sind teils bereits verboten, und auch Endverbraucher und Handel wünschen rückstandsfreie Ware. Zudem erhöhen steigende Temperaturen und neue Schädlinge Ernteausfälle. Besonders mehrjährige Kulturen wie die Heidelbeere, die erst ab zehn Jahren stabile Erträge liefert, sind stark betroffen.

Nicht-chemische Schädlingsbekämpfung

Es gilt, neue Bekämpfungsstrategien zu entwickeln, um auf chemische Schädlingsbekämpfungsmittel weitestgehend verzichten zu können. Genau hier setzt das Projekt „Entwicklung holistischer Formulierungsverfahren für den biologischen Pflanzenschutz von Beerenobst“, kurz „HOPE“, an: Dessen Ziel ist, Heidelbeeren biologisch und rückstandsfrei vor Schädlingen zu schützen.

An der Fachhochschule (FH) Bielefeld wird das Projekt in der Arbeitsgruppe „Fermentation und Formulation of Biologicals and Chemicals“ von Prof. Dr. Patel, welche im Bielefelder Institut für angewandte Materialforschung (BifAM) angesiedelt ist, durchgeführt. Dr. Patel ist auch Konsortialführer des gesamten Projekts „HOPE“, an dem neben der FH Bielefeld die Firmen BIOCARE GmbH, GEOHUMUS GmbH, Spargelhof Winkelmann GmbH & Co. KG, das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie, Geschäftsfeld Bioressourcen (Fraunhofer IME-BR), sowie die Technische Hochschule Mittelhessen beteiligt sind.

Ein Virus gegen die Kirschessigfliege

Oberirdisch schädigt besonders die so genannte „Kirschessigfliege“, Drosophila suzukii, die Heidelbeeren: Die Fliege legt ihre Eier in die reifen Früchte. Diese sind dann, gut vor chemischen Insektiziden geschützt, Brutstätte einer neuen Fliegengeneration. Die Beeren sind so für den Handel unbrauchbar.

Bei der Bekämpfung der Kirschessigfliege setzen die Forscherinnen und Forscher auf ein spezielles Virus, welches nur die Fliegen befällt, ansonsten aber ungefährlich ist, wie Désirée Jakobs-Schönwandt, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe von Professor Patel, erklärt: „Kürzlich wurden neue Virenstämme spezifisch gegen die Kirschessigfliege isoliert, die eine Kontrolle aussichtsreich erscheinen lassen.“

Jedoch büßen die Viren bereits nach kurzer Zeit ihre Wirksamkeit ein, wenn sie nicht in entsprechende ‚Form gebracht werden‘, die Fachleute sprechen vom ‚Formulieren‘. Damit ist gemeint, dass die Wirkstoffe, in diesem Fall Viren, durch in der Arbeitsgruppe entwickelte Formulierungstechniken in eine anwendbare Form überführt werden und somit vor Umweltfaktoren und enzymatischem Abbau im Insekt geschützt sind. Außerdem ist es möglich, geeignete Polymere der Formulierungen so zu wählen, dass sich die Kapseln als Träger (Carrier) in bestimmten Bereichen des Insektes auflösen, beziehungsweise an verschiedene Zelltypen anhaften. „Beim Formulieren kommen wir ins Spiel, das ist unser Spezialgebiet“, ergänzt Jakobs-Schönwandt.

Zudem bedarf es noch eines angepassten Verfahrens, um die Viren auf die Pflanzen aufzubringen und die Wirkung im Darm des Insekts gewährleisten zu können. In diesem Fall ist geplant, ein Spray mit einer neuartigen Virusformulierung zu entwickeln. Auch dieser Entwicklungsschritt liegt bei der FH Bielefeld in Abstimmung mit den Praxispartnern. „Dabei möchte ich betonen, dass hier an der FH Bielefeld keine Anwendung an Pflanzen stattfindet. Wir entwickeln Formulierungen, also innovative Verpackungen“, ergänzt Prof. Patel.

Pilze sollen Dickmaulrüssler und Engerlinge bekämpfen

Auch im Boden droht den Heidelbeerpflanzen Unheil. Hier bringen die Larven des gefurchten Dickmaulrüsslers, Otiorhynchus sulcatus, und weitere sogenannte „Engerlinge“ durch ihren Fraß an den Wurzeln ganze Heidelbeerreihen zum Absterben. Da Heidelbeersträucher erst nach zehn Jahren einen stabilen Ertrag liefern, ist der finanzielle Schaden hier mitunter immens.

„Zur Bekämpfung des gefurchten Dickmaulrüsslers und von Engerlingen im Boden ist eine maßgeschneiderte Attract-and-Kill Strategie besonders erfolgsversprechend“, erklärt Jakobs-Schönwandt. Auch hier liegt der Fokus der Forschung auf einer neuartigen Formulierung. In diesem Fall kein Spray, sondern ein Granulat zur Applikation in den Boden. Attract-and-Kill bedeutet so viel wie „Anlocken und Töten“.

Die Larven werden bei diesem Verfahren im Boden durch die Freisetzung von CO2 aus der Kapsel angelockt und dann durch eine Kill-Komponente, hier einem für die Insekten tödlichen Nutzpilz, sicher abgetötet. Ein Aspekt bei der Entwicklung ist, den Nutzpilz möglichst kostengünstig zu kultivieren. Dazu sollen Rest- und Rohstoffe aus der Landwirtschaft genutzt werden. Des Weiteren besteht die Aufgabe, die Attract-and-Kill Wirkung in den gegebenen Bodenbedingungen durch eine geeignete Zusammensetzung der Formulierung erfolgreich zu etablieren.

Erste Prototypen werden im Labor getestet

Sobald erste einsatzfähige Komponenten entwickelt wurden, werden sie im Labor, im Gewächshaus und auf geschützten Feldflächen getestet“, so Jakobs-Schönwandt. Dazu sind Freilandversuche bei den Projektpartnern, insbesondere beim Spargelhof Winkelmann geplant. Die Vorversuche im Gewächshaus werden vom Fraunhofer-Institut in Gießen übernommen. Es wurden bereits erste Prototyp-Formulierungen entwickelt, die im Labor auf Wirksamkeit und auf gewünschte Eigenschaften der Formulierung getestet werden.

Dabei wird darauf geachtet, ob sich die Formulierungen beispielsweise beim gewünschtem pH-Wert auflösen oder wie lange sie unter simulierten Umweltbedingungen stabil sind. Diese neuartigen Formulierungen werden so konzipiert sein, dass sie auf diverse Arten von Nutzpflanzen übertragbar sind, sofern diese von denselben Schädlingen bedroht sind. Zudem sollen die Formulierungen an bestimmte Parameter anpassbar und somit flexibel in der Anwendung sein.