Krisenanfälligkeit der Menschheit ist bedrohlich, aber beherrschbar

Die Krisenanfälligkeit der Menschheit ist bedrohlich, aber auch beherrschbar. Shutterstock/ Dilok Klaisataporn

Klimaerwärmung, Pandemien und Migrationswellen sind Herausforderungen der jüngeren Geschichte, die immer öfter ineinandergreifen und sich gegenseitig verstärken. Ein Team von Wissenschaftlern rund um IASS-Direktor Ortwin Renn hat sich mit Auslösern und Folgen von sich überschneidenden Krisen (Polycrises) befasst. Sie untersuchten, was das Zusammenwirken von krisenauslösenden Ereignissen begünstigt, wie dies verhindert oder abgemildert werden kann – und entwickelten einen analytischen Rahmen, mit dem komplexe und zusammenhängende Krisen identifizierbar werden.

Da das Management einzelner globaler Systemrisiken – wie beispielsweise der Pandemie, der Invasion Russlands in die Ukraine oder des weiter fortschreitenden Klimawandels – bislang eher unzureichend, oft sogar katastrophal abgelaufen ist, sehen die Autoren die Notwendigkeit, auf der Basis der systemischen Risikoforschung sich überlappende Krisen frühzeitig zu erkennen und wirksam gegenzusteuern.

Die Autoren Thomas Homer-Dixon, Johan Rockström, Jonathan F. Donges, Scott Janzwood und Ortwin Renn befürchten, dass die bisherige Strategie, jedes Risiko getrennt zu betrachten und dann für jedes Einzelrisiko Krisenvorsorge zu treffen, den heutigen Bedingungen einer vernetzten und durch wechselseitige Abhängigkeiten geprägten Welt nicht mehr gerecht wird. Dabei geht es um mehr als um ein zufälliges Zusammentreffen von Krisen. Vielmehr sei die Überlagerung von Krisen eine logische und erwartbare Folge der bestehenden Kontextbedingungen globaler Wirtschaft und nicht nachhaltiger Lebensformen.

Die Autoren weisen auf zwei Trends hin, die zu einer Risikobeschleunigung und -verstärkung sich überlappender Krisen beitragen: Einerseits der wachsende Ressourcenverbrauch und der zunehmende Schadstoffausstoß über die Grenzen der planetarischen Resilienz hinaus. Andererseits seien die menschlichen Systeme inzwischen weitaus stärker miteinander vernetzt bei einem insgesamt größeren Durchsatz und einer höheren Geschwindigkeit der Material-, Energie- und Informationsflüsse. Dabei seien die Verbindungen zwischen den einzelnen Teilen noch weitgehend unbekannt und ebenso die Mechanismen noch zu wenig erforscht, wie die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen den globalen Systemen auf Umwelt und Gesellschaft einwirken.

Wetterereignisse lösen Kettenreaktion aus

Als Beispiel für ein systemisches Risiko, das sich zu einer größeren Krise auswächst, führen die Autoren die durch den Klimawandel verursachten extremen Wetterereignisse an: Diese verschärfen zum Beispiel die wirtschaftlichen Ungleichheiten innerhalb und zwischen Gesellschaften. Diese Ungleichheiten führen zu Massenmigration, was den populistischen Nationalismus stärkt, der wiederum die globale Emissionskontrolle schwächt, wodurch sich das Klimaproblem weiter verschärft. So entstehen Kaskaden von sich gegenseitig verstärkenden Krisen, die mit den herkömmlichen Managementstrategien nicht in den Griff zu bekommen sind.

Diese Rückkopplungen betreffen drei wesentliche Dimensionen eines Systems – die biophysikalische, sozio-metabolische und kulturell-institutionelle. Daher sei die Erforschung der Wechselwirkungen zwischen den drei Dimensionen dringend erforderlich, denn das Endergebnis solch unerkannter, miteinander gekoppelter Prozesse könnte eine ausufernde Makrokrise aus miteinander verbundenen, lebenswichtigen natürlichen und sozialen Systemen der Erde auslösen. Da jedoch die nationalen und internationalen Institutionen, die systemische Risiken managen, eher in isolierten Silos arbeiten, sei die Menschheit denkbar schlecht aufgestellt, um das aufkommende Risiko sich gegenseitig verstärkender Krisen bewältigen zu können.

Allerdings, so die Autoren, bilden die komplexen, miteinander vernetzten Strukturen auch Anhaltspunkte für wirksame Gegenstrategien. Wenn einmal die zentralen Knotenpunkte vernetzter Systeme erkannt sind, können diese bewusst so beeinflusst werden, dass sich positive Wechselwirkungen über die gesamte Kaskade der Folgewirkungen ergeben. Dominoeffekte können bewusst genutzt werden, um mit geringen Interventionen positive Effekte über viele Folgestationen zu erzielen.

Plädoyer für eine globale Taskforce

Die Autoren beenden ihre aktuelle Publikation mit einem Aufruf zu einer globalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit, um kausale Mechanismen zu erkennen, die zu überlappenden Krisen führen können. Aber auch, um geeignete systemisch wirkende Interventionen zu entwickeln, die über das gesamte Wirknetzwerk positive Effekte auslösen.

Eine Zukunft mit sich aufschaukelnden Katastrophen sei daher nicht unausweichlich: Gezieltes Eingreifen kann die nichtlineare Dynamik globaler Systeme nutzen, um selbstverstärkende Kaskaden einer übergreifenden Risikominderung zu erzeugen. Die Autoren fordern eine global aufgestellte Taskforce, die Forschungsgruppen weltweit miteinander verbinden würde. Diese Task Force wäre eine passende Ergänzung zu dem vom UN-Generalsekretär vorgeschlagenen Zukunftslabor, das sektor- und grenzübergreifend Megatrends und Risiken identifizieren und geeignete Interventionen zu deren Bewältigung erarbeiten könnte.