Prognosen zufolge wird die Kunststoffverschmutzung bis 2040 auf bis zu 80 Millionen Tonnen pro Jahr ansteigen. Inzwischen wurden in fast allen Bereichen der Umwelt Plastikteilchen festgestellt, zum Beispiel in Gewässern, im Boden und in der Luft. Durch Meeresströmungen oder Flüsse gelangen die kleinen Plastikteilchen sogar bis in die Arktis, die Antarktis oder die Tiefsee. Eine neue Übersichtsstudie zeigt nun, dass auch Wind die kleinen Teilchen weit transportieren kann – und das deutlich schneller als Wasser: Durch die Atmosphäre gelangen sie schon innerhalb von Tagen von den Quellen selbst zu den entlegensten Orten der Erde.
Wie Mikroplastik in die Atmosphäre gelangt und welchen Weg es nimmt, beschreibt ein internationales Forschungsteam in der Fachzeitschrift Nature Reviews Earth and Environment, darunter auch Forschende des Alfred-Wegener-Instituts, des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam und des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.
Zwischen 0,013 und 25 Millionen Tonnen Mikro- und Nanoplastik werden derzeit pro Jahr durch Meeresluft, Schnee, Meeresgischt oder Nebel bis zu tausende Kilometer über Länder, Kontinente und Ozeane hinweg transportiert. Das ist die Schätzung eines internationalen Teams aus 33 Forschenden, darunter auch vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), dem Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam (IASS) und dem GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.
„Luft ist ein viel dynamischeres Medium als Wasser“, sagt Mitautorin Dr. Melanie Bergmann vom AWI. „Mikro- und Nanoplastik kann so viel schneller in die wenigen bislang noch fast unberührten und entlegensten Bereiche unseres Planeten vordringen.“ Hier könnten die Teilchen das Oberflächenklima und die Gesundheit von Ökosystemen beeinflussen. Lagern sich dunklere Partikel etwa im Schnee und Eis ab, wirken sie sich auf die Eis-Albedo-Rückkopplung aus, könnten also ihre Fähigkeit verringern, Sonnenenergie zu reflektieren, was dazu führt, dass Schnee und Eis schmelzen. Dunklere Meeresflächen wiederum absorbieren mehr Sonnenenergie, wodurch sich die Ozeane weiter erhitzen. Darüber hinaus können Mikroplastik-Partikel in der Atmosphäre als Kondensationskerne für Wasserdampf dienen und so die Wolkenbildung und langfristig auch das Klima beeinflussen.
Wie gelangen Kunststoffteilchen in die Atmosphäre?
Zum einen durch menschliche Aktivitäten. Partikel aus Reifen- und Bremsabrieb vom Straßenverkehr oder von den Abgasen aus Industrieprozessen gelangen in die Atmosphäre und werden dort mitgetragen. Laut der Übersichtsstudie deutet jedoch einiges darauf hin, dass andererseits auch eine beträchtliche Menge über die Meeresumwelt transportiert wird. Erste Untersuchen legen nahe, dass Mikroplastik aus der Küstenzone über abgetragenen Strandsand ins Meer gelangt. Durch Gischt, Wind und Wellen bilden sich Luftblasen im Wasser, die Mikroplastik enthalten. Dieses gelangt in die Atmosphäre, wenn die Blasen platzen. Der Ferntransport in entlegene und polare Regionen könnte also eine Kombination aus atmosphärischem und marinem Transport sein.
Daher ist es wichtig, die Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre und Ozean zu verstehen, um herauszufinden, welche Partikelgrößen in welchen Mengen übertragen werden. Die Atmosphäre befördert überwiegend kleine Mikroplastikteilchen und ist dadurch ein deutlich schnellerer Transportweg, der zu einer erheblichen Ablagerung in verschiedenen Ökosystemen führen kann. Melanie Bergmann erklärt: „Wir müssen Mikro- und Nanoplastik in unsere Messungen zur Luftverschmutzung integrieren, und das am besten gleich international als Teil globaler Netzwerke.“ In einem ersten Schritt haben die Hauptautorin der Studie Deonie Allen und Melanie Bergmann zu diesem Zweck bei einer Polarstern-Expedition in die Arktis im vergangenen Jahr angefangen, Mikroplastik in der Luft, im Meerwasser und im Eis zu beproben.
Gemeinsam den Mikroplastik-Kreislauf verstehen
Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen, um den Mikroplastik-Kreislauf zwischen Meer und Atmosphäre besser zu verstehen und zu charakterisieren. Hierfür skizziert das Forschungsteam um die Hauptautoren Deonie Allen und Steve Allen von der University of Strathclyde, Glasgow, in der Studie eine globale Strategie, um einen zusammenhängenden, vergleichbaren Datensatz aufzubauen, der den Fluss von Mikro-und Nanoplastik zwischen Ozean und Atmosphäre zeigt. „Es gibt so viele Aspekte, die wir noch immer nicht über die Emissionen, den Transport und die Auswirkungen von Mikroplastik in der Atmosphäre wissen“, sagt Mitautor Professor Dr. Tim Butler vom IASS. „In dieser Publikation werden die Wissenslücken dargelegt – und es wird ein Weg in die Zukunft aufgezeigt.“
Zwei spezifisch ausgerichtete Arbeitsgruppen der Expertengruppe zu wissenschaftlichen Aspekten des Meeresumweltschutzes (Joint Group of Experts on the Scientific Aspects of Marine Environmental Protection, GESAMP) haben die Studie erarbeitet. Mitautorin der Studie und Mitglied von GESAMP, Professorin Dr. Sylvia Sander vom GEOMAR sagt: „Die Studie verdeutlicht, dass übergreifende Erkenntnisse zum Ozean, und den Auswirkungen menschlicher Einflüssen darauf, durch die Vernetzung von Forschenden und ihren Daten überhaupt erst möglich werden. Die größten Herausforderungen unserer Zeit liegen auf globaler Ebene. Wir müssen daher drängenden aktuellen Fragen mit möglichst umfassender internationaler Expertise auf den Grund gehen. Das geht nur gemeinsam.“ GESAMP ist ein Zusammenschluss von elf Organisationen der Vereinten Nationen mit dem Ziel, ein multidisziplinäres wissenschaftliches Verständnis der Meeresumwelt zu erwirken. Hierfür hat das Netzwerk bereits mit mehr als 500 Wissenschaftlern aus diversen Ländern zu verschiedenen Fragestellungen zusammengearbeitet.
Mikro- und Nanoplastik in der Luft ist auch für die menschliche Gesundheit von Bedeutung. In einer kürzlich erschienenen britischen Studie wurde Mikroplastik in elf von 13 Lungen lebender Menschen nachgewiesen. „Auch aus diesem Grunde sollten wir Plastik in Überwachungsprogramme zur Luftqualität miteinbeziehen“, betont Melanie Bergmann. Um den Eintrag von Plastik in die Umwelt zu senken, müsste zudem im Rahmen eines internationalen Abkommens schrittweise die Produktion von neuem Plastik gesenkt werden, forderte Bergmann kürzlich zusammen mit anderen Experten in einem Brief an das Fachjournal Science.