Immer mehr Menschen zieht es in die Städte – die Versorgung der wachsenden Bevölkerung mit Agrarprodukten ist eine große Herausforderung. Besonders in urbanen Räumen ist es schwierig, dem Trend zu nachhaltigen, lokalen und qualitativ hochwertigen Produkten nachzukommen. Daher sind neuartige Agrarsysteme notwendig. Im BMBF-Verbundprojekt SUSKULT geht das Fraunhofer UMSICHT gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Praxis einen auf den ersten Blick ungewöhnlichen Weg, der sich bei genauerem Hinsehen allerdings als geniale Idee entpuppt.
Qualität und Nachhaltigkeit der Ernährung stehen vermehrt im Fokus. Was in landwirtschaftlich geprägten Regionen noch relativ einfach umzusetzen ist, gestaltet sich in den Städten jedoch weitaus schwieriger. Darüber hinaus besteht eine zentrale Zukunftsfrage, wie Ertragssteigerungen in der Agrarwirtschaft bei endlichen Phosphatressourcen, hohem Energieaufwand bei der Düngemittelproduktion und der Verschmutzung von Gewässern und Böden durch Phosphor und Stickstoff künftig möglich sein werden. Ein Team unter Koordination des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT will dieses Problem nun lösen und entwickelt im Rahmen des im April gestarteten BMBF-Verbundprojekts SUSKULT ein neuartiges Agrarsystem. »Das Besondere dabei ist der Standort: Wir docken das Agrarsystem an städtische Kläranlagen an«, erklärt Volkmar Keuter, Leiter der Abteilung Photonik und Umwelt beim Fraunhofer UMSICHT und Koordinator von SUSKULT. Am 10. Mai fand die Auftaktveranstaltung mit 35 Teilnehmern des Projektverbunds und des Projektbeirats in Oberhausen statt.
Doch warum gerade Kläranlagen?
Hierzu lohnt sich ein Blick auf die Komponenten, die für eine Pflanzenkultivierung benötigt werden: Für den geschlossenen Anbau von gartenbaulichen Produkten, z. B. in Gewächshäusern, sind das im wesentlichen Nährstoffe (Dünger), CO2, Wärme und Wasser. »All diese Ressourcen sind auf Kläranlagen zu finden«, so Keuter. Hinzu komme der Standortvorteil. Zunächst am Stadtrand gebaut, sind Kläranlagen mittlerweile – bedingt durch das Wachstum der Städte und Metropolregionen – häufig zentrumsnah verortet.
Die Agrarwirtschaft in die Stadt bringen
Die Idee, Ressourcen aus Kläranlagen im Sinne der Kreislaufführung zu nutzen, ist nicht neu. So gibt es bereits Verfahren, die Phosphor aus Schlamm und Asche in Kläranlagen – teils unter erhöhtem Energieeinsatz – rückgewinnen, um ihn in Form von Dünger oder Futterzusatz in die Agrarwirtschaft zu bringen. »Allerdings wird Phosphor dabei aus der Stadt in agrarwirtschaftlich geprägte Regionen transportiert, von wo aus später dann Obst und Gemüse wieder zurückgebracht werden«, erklärt Keuter.
Agrarsystem der Zukunft: Die Auftaktveranstaltung zu SUSKULT fand mit 35 Teilnehmenden des Projektverbunds und des Projektbeirats in Oberhausen statt. Foto: Fraunhofer UMSICHTUm eine agrarwirtschaftliche Produktion direkt an Kläranlagen andocken zu können, entwickelt ein interdisziplinäres Konsortium im Rahmen von SUSKULT ein entsprechendes Bausteinsystem. Das Ergebnis soll regional angebautes, qualitativ hochwertiges Gemüse sein.
NEWtrient®-Center
Insgesamt 15 Partner arbeiten bei SUSKULT in vier Teilprojekten an dem Vorhaben. Die Arbeitspakete beinhalten neben der Weiterentwicklung der Kläranlagen zu sogenannten NEWtrient®-Centern und der Entwicklung einer Aufbereitungstechnik eine angepasste Nahrungsmittelproduktion in geschlossenen Kultursystemen und die dazugehörige Umfeld- und Systemanalyse. Um möglichen Schwankungen in Menge und Konzentrationen im Abwassersystem möglichst frühzeitig begegnen zu können, sind auch eine intelligente Prozesssteuerung und entsprechende Vorhersagemodelle im Projektplan verankert.
Keuter wagt einen Ausblick: »Wir haben die Vision, dass 2050 keine Kläranlagen mehr im Sinne einer Entsorgungsanlage existieren, sondern NEWtrient®-Center. Ressourcenströme, die sämtliche Nährstoffe in Städten umfassen, können hier gehandelt werden.«
Auf dem Weg zum Agrarsystem der Zukunft nach der SUSKULT-Vision ab dem Jahr 2050 gibt es eine Vielzahl an Herausforderungen. Nicht nur die technischen Ziele stehen im Fokus, bereits jetzt müssen die normativen Grundlagen erarbeitet und möglichst viele Stakeholder in den Entwicklungsprozess eingebunden werden. Direkt am Projekt beteiligt sind auch die Partner Metro AG und REWE Markt GmbH, hinzu kommen zahlreiche Interessensvertreter im Projektbeirat. Weite Teile der Zivilgesellschaft sind im Rahmen von Dialogprozessen involviert. Gemeinsam betrachten sie auch den zukünftigen Weg der Produkte zu den Kunden: »Ich kann mir z. B. ganz neue Standorte von Wochenmärkten vorstellen«, schildert Keuter eine weitere Vision von SUSKULT.
40 t Gemüse pro Jahr
In den ersten drei Jahren legen die Forschenden den Grundstock für das neue Agrarsystem. Im Anschluss soll dann eine Demonstrationsanlage auf dem Gelände des Klärwerks Emschermündung an der Stadtgrenze zwischen Dinslaken, Oberhausen und Duisburg aufgebaut werden. Das Ziel ist ehrgeizig: »Nach einer Phase der Optimierung der einzelnen Komponenten möchten wir vor Ort pro Jahr mehrere Tonnen Gemüse produzieren«, so Keuter. Wenn alles optimal funktioniert, könnte man damit beispielsweise den jährlichen Bedarf an Blattsalaten der Gemeinde Anröchte im Kreis Soest decken (durchschnittlicher jährlicher Verbrauch in Deutschland: etwa 3 kg Blattsalat/Kopf.