Forschungsprojekt zu evidenzbasierter Politik in der Pandemie

Foto: Die Linde

Die Hochschule für Philosophie München (HFPH) und die Medizinische Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg starten eine einzigartige interdisziplinäre Zusammenarbeit von Politischer Philosophie und Public Health zur Untersuchung evidenzbasierter Politik (EBP). Das Forschungsprojekt „Politics in Search of Evidence (PoSEvi) – The Role of Political Philosophy and Public Health in the political responses to COVID-19“ beleuchtet das Verhältnis von Politik und Wissenschaft aus philosophischer und sozialmedizinischer Perspektive mit besonderem Fokus auf politisches Handeln in der COVID-19-Pandemie:

Bürger erwarten von der Politik rasche Lösungen für gesellschaftliche Probleme. Die „richtigen“ politischen Entscheidungen sind insbesondere in Zeiten von Krisen zügig gefordert – das hat die COVID-19-Pandemie einmal mehr deutlich gemacht. Um Sicherheit in komplexen Sachlagen zu garantieren, bilden wissenschaftliche Erkenntnisse oft die notwendige Entscheidungsgrundlage. Evidenzbasiertes politisches Handeln, also die wissenschaftsbasierte Begründung politischer Maßnahmen, erscheint hier eine plausible Lösung, die das Sicherheitsbedürfnis bedient.

Forschungsproblem: Sicherheit bei Entscheidungsprozessen

Während der Pandemie mussten politische Entscheidungen jedoch unter Bedingungen extremer, auch wissenschaftlicher Unsicherheit getroffen werden. Die Politik stand daher weiterhin vor dem Problem der Legitimierung verschiedener Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Das Projekt soll deswegen klären, welche anderen Wissensformen im politischen Entscheidungsprozess hinzugezogen werden müssen, um ein neues, breiteres Verständnis von EBP grundzulegen.

Interdisziplinärer Forschungsansatz

Am 1. Oktober 2021 ist das gemeinsame Forschungsprojekt der beiden Universitäten unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Reder, Professor für Praktische Philosophie an der HFPH, und Prof. Dr. Christian Apfelbacher, Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung (ISMG) der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, gestartet. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit insgesamt knapp einer halben Million Euro für einen Zeitraum von drei Jahren gefördert.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht einen multidimensionalen Ansatz, der unterschiedliche wissenschaftliche Perspektiven integriert, die sich wiederum gegenseitig befragen und ergänzen. Während im Public Health-Teilprojekt erforscht wird, wie Epidemiologen und Public Health-Wissenschaftlern das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik in den verschiedenen Phasen der Pandemie erlebt haben, wird es auf philosophischer Seite darum gehen, politische Statements zur Pandemie einer normativen Rekonstruktion zu unterziehen, gerade auch hinsichtlich ihrer impliziten Konzepte und damit verbundenen Normen.

©(HFPH)

Prof.  Dr. Michael Reder erläutert das Vorgehen: „Besonders interessant wird es sein, zu klären, welchem (Selbst-)Verständnis die Akteurinnen und Akteure in Politik und Wissenschaft anhängen, welche Auffassungen der jeweiligen Kompetenzen und Rollen also tatsächlich wirkmächtig sind und in welchem Maße sich die politische Entscheidungsfindung in der Pandemie auf wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt hat bzw. nicht gestützt hat. Außerdem wollen wir einen genaueren Blick darauf werfen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit insbesondere demokratische Politik ein gutes Wissensfundament hat – das berührt dann auch Themen wie Wissenschaftskommunikation, Bildung und demokratische Partizipation“.

©(ISMG)

Die Zusammenarbeit verstehen wir als wechselseitigen Prozess des Verstehens und Lernens: Beispielsweise können wir am ISMG aus unserer Perspektive von Sozialmedizin, Public Health und Versorgungsforschung dabei unterstützen, philosophische Analyseschritte und theoretische Konzepte auf ihre Verständlichkeit und ihren Anwendungsbezug hin zu hinterfragen. Zeitgleich können wir mit unserer qualitativen Teilstudie ein empirisches Fundament zur Verfügung stellen, mit welchen die Philosophinnen und Philosophen ihre theoretische Arbeit für ein integratives EBP-Verständnis fortsetzen können“, so Prof.  Dr. Christian Apfelbacher über den engen Austausch beider Disziplinen.

Das eröffnet die Möglichkeit, am Ende zu einer belastbaren und handlungsleitenden Konzeption von politischer Entscheidungsfindung und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu kommen. Das Projekt trifft also die Wirklichkeit und die damit verbundenen realen Herausforderungen und soll Entscheidungsträger*innen im besten Fall unterstützen.